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Mrz 082013
 

von Valerio Montanari

In Italien ist es nicht leicht, zur Wahl zu gehen und am Ende das Gefühl zu haben, das Richtige getan zu haben; das ist es schon lange nicht mehr. Berlusconi hat viel zerstört, mehr, als man sich im Ausland vorstellen kann. Und Berlusconi ist nicht der erste Politiker in Italien mit einem fragwürdigen Politikverständnis: Bis 1992 war Giulio Andreotti insgesamt sieben Mal Ministerpräsident Italiens gewesen, bis er wegen Verwicklungen mit der Mafia zu 24 Jahren Haft verurteilt wurde.

In Deutschland funktioniert die Präsentation der Politik in den Medien grundsätzlich anders als in Italien (und anders als in den meisten Gegenden der Welt, wie man es auch aktuell viel in den Zeitungen liest): In Deutschland ist ein Politiker heute sofort weg vom Fenster, wenn er auch nur in den Verdacht gerät, Regeln gebrochen zu haben. Was Annette Schavan getan hat, wäre im Rest Europas bestenfalls ein Schönheitsfehler. Was Horst Köhler gesagt hat, hätte man woanders wohl kaum zur Kenntnis genommen.

Silvio Berlusconi hat eine politische Kultur ermöglicht, die in Italien inzwischen ganz normal ist, in Deutschland dagegen kaum denkbar. Politik findet in Italien in Talkshows statt, es wird nur geredet. Abgeordnete waren in der Berlusconi-Ära die Bonzen schlechthin. Vetternwirtschaft war normal, die wichtigsten politischen Faktoren waren das Aussehen und der Preis der Krawatte und man wurde Abgeordneter, um seine Rente gesichert zu sehen (in Italien war das besonders einfach, weil man nicht so lange Abgeordneter sein musste wie in Deutschland, um Anspruch auf die entsprechende Rente zu haben).

Berlusconi selbst ging stets mit schlechtestem Beispiel voran. Wer mitbekommen hat, wie Berlusconi eine Expertin für Solarenergie fragte, wie oft sie „komme“, konnte nur den Kopf schütteln. Deutsche Medien berichteten von dem peinlichen Auftritt. Auf die verbale Entgleisung folgte der eigenlich dreistere Teil: Am Ende des Fernsehausschnitts – hier im italienischen Original auf Youtube – bittet er die junge Dame, sich umzudrehen. Als die ihm die Bitte verwirrt erfüllt, schaut er auf ihr Gesäß und sagt zur Kamera: „Doch, ein gutes Angebot.“

Es würde lange dauern, alle Verfehlungen von Berlusconi aufzulisten. Jedenfalls ist er angeklagt, weil er die Prostitution Minderjähriger gefördert haben soll – der „Ruby“-Fall. Wenn man sich anschaut, wie sich Berlusconi zu diesem und ähnlichen Fällen geäußert hat, dann möchte man ihn am liebsten selbst ins Gefängnis stecken. Ein Zuhälter an der Staatsspitze – wie bitte?

Wieso wurde Berlusconi also immer wieder gewählt? Ihm gehören der AC Mailand, die Fernseh-Sendegruppe Mediaset und die Verlage Mondadori und Einaudi – und das sind nur die Aushängeschilder. Das ist so, als würden der Axel-Springer-Verlag, RTL und Bayern München zum Privatbesitz von Angela Merkel gehören.

Berlusconi hat die politische Landschaft alternativlos gemacht. Man kann sich nicht vorstellen, welchen Einfluss ein Politiker auf die Bevölkerung haben kann, wenn ihm solche Machtinstrumente zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass die italienische Linke traditionell zerstritten und lange Zeit politisch fast unbedeutend war. Italiener sind es nicht gewohnt, dass Wahlen irgendetwas verändern oder gar verbessern. Egal, was gewählt wurde – Berlusconi gewann immer. Selbst, als der Sozialdemokrat Romano Prodi Ministerpräsident war (2006-2008), gewann am Ende Berlusconi, weil Prodis Regierung auseinanderbrach. Neuwahlen, Berlusconi wurde wieder Ministerpräsident.

Berlusconi wurde jetzt wiedergewählt, weil er versprochen hat, das Leid der Italiener zu beenden. Natürlich waren seine Wahlversprechen hanebüchen und absurd – aber das ist, wie schon beschrieben, in Italien nichts Besonderes. Mario Monti wurde nicht mehr gewählt, weil seine Maßnahmen in den letzten Jahren hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Kaufkraft und schwindende Perspektiven heraufbeschworen haben. Im Sinne einer europa- und letztlich italienfreundlichen Politik musste er diese Sparmaßnahmen ergreifen, und hier kommen die Deutschen ins Spiel: Das deutsche Wort hat Gewicht in Europa, weil Deutschland die stärkste Wirtschaftsmacht im Euro-Raum ist und die EU-Politik anführt. Um den Euro zu schützen, von dem Deutschland im Moment sehr profitiert, haben die Italiener das Nachsehen; so argumentieren die Populisten. Italiener, Griechen, Spanier und Portugiesen verstehen es so, dass es ihnen schlecht gehen muss, damit Deutschland profitieren kann. Sie wählen Grillo und Berlusconi, weil sie finden, dass Montis europafreundliche Politik an ihrer Lebenssituation vorbeigeht. Monti sieht nicht, dass es den Italienern schlecht geht, finden sie.

Man darf nicht vergessen, dass die Schuld für die Krisensituation nicht die Italiener tragen: nur ein Italiener ist schuld, Berlusconi. Wie in Griechenland, aber auch in Deutschland sind es die Politiker, die die politische Kultur formen, nicht die Bürger; die Bürger wählen nur, sie handeln und repräsentieren nicht. Wenn sie schon für Deutsche schuften müssen, dann ist eine respektvolle Behandlung das Mindeste, was die Italiener verlangen.

Und dann taucht ein Kanzlerkandidat der SPD auf. Er behauptete neulich, mit Grillo und Berlusconi hätten ein „Clown, der sich selbst auch so nennt“ und ein „Clown mit Testosteronschub“ die Wahl gewonnen. Man kann von Grillo und Berlusconi halten, was man will. Aber „Clown“ ist keine politische Aussage, sondern eine respektlose Bezeichnung. Steinbrück symbolisiert mit seinen Äußerungen das herablassende Gebahren eines Europas, das auf italienische Kosten vom Euro profitiert – so sehen es jedenfalls die italienischen Populisten. Der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano hat wegen dieser Äußerungen das lange geplante Treffen mit dem Kanzlerkandidaten abgesagt. Hätte Steinbrück diese Dinge als Kanzler gesagt – wie unangenehm wäre die Situation wohl geworden?

Steinbrück vergisst, dass Grillo und Berlusconi ihm etwas Wesentliches voraushaben: Sie gewinnen Wahlen. Vielleicht sollte sich Steinbrück mehr wie Grillo oder Berlusconi aufführen – das könnte seine Kandidatur retten, schlechter könnte er ohnehin kaum dastehen.

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