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Mrz 112013
 

von Ceyhun Yakup Özkardes

Täglich ein Anruf, eine SMS und am liebsten möchten sie mich nach jedem Treffen bis nach Hause begleiten. Chinesische Freundschaften können für uns Europäer manchmal etwas anhänglich sein, doch man darf das nicht falsch verstehen. Ceyhun Yakup Özkardes erzählt von seinen Erfahrungen mit JiYi – einem Taekwondo Coach in Xiamen.

Mein Handy vibriert und versetzt meinen Tisch in Bewegung, doch ich gehe nicht ran. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich möchte das Gespräch jetzt nicht annehmen, weil klar ist, wer da am anderen Ende ist. Mein neuer chinesischer Freund aus dem Taekwondo Verein versucht mich anzurufen – bereits zum dritten Mal. JiYi, 20 Jahre jung, ist ein unglaubliches Talent im Taekwondo. An den Wochenenden arbeitet er in einem Taekwondo Club in Xiamen und unter der Woche geht er zur Schule. Er ist unheimlich zuvorkommend, aber manchmal können chinesische Freundschaften etwas anstrengend sein.

© privat / Ceyhun Yakup Özkardes

Ich habe oft das Gefühl JiYi würde für mich alles stehen und liegen lassen und wenn es nötig wäre, seine gesamte Freizeit für mich opfern. In China basiert Freundschaft auf Gegenseitigkeit, weshalb er also genau dasselbe auch von mir erwartet. Für Chinesen sind Ausländer, insbesondere Menschen aus dem Westen, Gäste der besonderen Art. Deutschland spielt da eine spezielle Rolle. Deutschland heißt übersetzt das „Land der Tugenden“ (德国) und ist sehr beliebt. Dabei rühmt man besonders die deutschen Automarken und deren gute Qualität. Auch wenn ich weder Ingenieur noch besonders interessiert an Autos bin, muss ich mich mit Chinesen oft über BMW oder Audi unterhalten. In dieser Hinsicht ist JiYi allerdings etwas anders. Ihm ist es wichtiger, dass wir zusammen Zeit verbringen – viel Zeit.

Der Begriff Freundschaft hat in China eine andere Bedeutung als in Deutschland. Wo die Deutschen als eher verschlossen gelten, schließen Chinesen bereits nach dem ersten Treffen beste Freundschaften. Dies beinhaltet sowohl gemeinsame Abendesse als auch, sich persönliche Geheimnisse anzuvertrauen. Freundschaft ist außerdem automatisch mit der Pflicht verbunden, seinen Freunden zu helfen. Dies fiel mir besonders auf meiner Reise nach Fuzhou auf.

Im Auftrag meiner Firma fuhr ich in die Provinzhauptstadt von Fujian – nach Fuzhou. Zu diesem Zeitpunkt war JiYi ebenfalls in Fuzhou und wollte mir vor Ort helfen. Um mich nicht ganz auf meinen eifrigen Freund verlassen zu müssen, suchte ich mir vorher die Wegbeschreibung heraus und rief ihn lediglich an, als ich in Fuzhou ankam. Er entschuldigte sich, dass er gerade keine Zeit hätte und ich dachte, die Sache wäre damit erledigt. Mein Ziel fand ich problemlos und ging meinen Aufgaben nach. Etwa 20 Minuten später rief JiYi jedoch wieder an, um mir eine detaillierte Wegbeschreibung zu geben. Er war sehr überrascht über meinen Alleingang und meine schnelle Ankunft. Bei einem späteren Treffen gestand er mir, dass er Angst um mich hatte und besorgt darüber war, dass ich verloren gehen könnte. Obwohl ich jeden Tag an der Uni Chinesisch lerne und inzwischen viele Situationen auch meistern kann, war er sehr verwundert über meine Selbstständigkeit in einem, seiner Meinung nach, für mich fremden Land.

In einer anderen Situation wurde mir die unterschiedliche Denkweise zwischen China und Deutschland ebenfalls deutlich vor Augen geführt. Bei einer Trainingseinheit in der Taekwondo Schule posierten die Trainerkollegen und ich für Gruppenfotos. Ich dachte mir dabei nichts und hielt es lediglich für ein paar Schnappschüsse. Doch beim nächsten Training fand ich in einer Ecke der Halle drei Kisten voll mit Werbeflyern für die Taekwondo Schule, auf dem genau dieses Gruppenfoto verwendet wurde. Dazu von allen Trainern noch ein kurzer Text, von mir natürlich auf Englisch. An sich eine gute Sache, doch ich hatte das Gefühl, übergangen worden zu sein. Ich wurde weder mit einbezogen noch um Erlaubnis gefragt. Da Westler so sehr von Chinesen bewundert werden, sind sie oft auch eine Art Vorzeigeobjekt. Genau so fühlte ich mich dann leider auch, so, als würde ich herumgereicht werden. Dieses Foto mit mir sollte eine Nachricht transportieren und zeigen: „Wir sind mit dem Westen verbunden.“

Bei diesem Vorfall kam noch etwas anderes zum Tragen: das Konzept des Guanxi Systems (关系). Das Beziehungsnetzwerk, in das jedes Mitglied der Gesellschaft eingebunden ist. Danach ist es völlig legitim, Beziehungen zu nutzen und auch von ihnen zu profitieren. Am ehesten ist dieses Prinzip vergleichbar mit den Seilschaften in Deutschland, in denen man sich gegenseitig hilft und auch unterstützt. In meinem Fall versuchten die Trainer, mit dem Werbeflyer Eindruck zu schinden, damit ich auch in Zukunft diese Schule besuchen würde.

Auch wenn ich mich daran erst gewöhnen musste, bin ich sehr dankbar für die tolle Hilfe und Unterstützung von JiYi und den anderen Trainern. Sie sind immer da, wenn es Probleme oder Schwierigkeiten gibt und widmen sich vollkommen dieser Aufgabe. Durch sie lerne ich weitere Chinesen kennen, „expandiere“ quasi mein Guanxi und habe mehr denn je Einblick in die chinesische Kultur. Nicht aus Büchern, sondern ganz praktisch im Alltag lerne ich vom chinesischen Gedankengebäude und teile auch meine persönlichen Werte.

© privat / Ceyhun Yakup Özkardes

Genau das nämlich ist das Ziel: Interkulturelle Konzepte betonen den Synergieeffekt interkultureller Freundschaften, also die Verschmelzung von verschiedenen Ressourcen aus zwei Kulturen zu einem neuen Gebilde. Dabei sollen beide Partner eine Neudefinition von wichtigen Elementen vornehmen, so dass eine neue Gesamtheit entstehen kann. Ein nicht ganz einfaches Ziel, aber ein erstrebenswertes, denn die Qualität unserer gemeinsamen Zeit nimmt so zu.

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