Media4Us » Berlin https://www.media4us.de/wp Ein weiterer WordPress-Blog Mon, 23 Feb 2015 14:22:24 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=4.2.2 Migration und Gesundheit https://www.media4us.de/wp/2013/03/06/migration-und-gesundheit/ https://www.media4us.de/wp/2013/03/06/migration-und-gesundheit/#comments Wed, 06 Mar 2013 07:34:55 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1315 Am 20. Februar 2013 fand in der Berliner Charité das Symposium „Viele Risiken – gutes Outcome? Geburtshilfe in der Einwanderungsgesellschaft“ statt. Hier wurde eine aktuelle Studie vorgestellt, die zeigt, dass vom pauschalen Bild der Migrantin Abstand genommen werden muss. Isabel Merchan hat die Ergebnisse für uns zusammengefasst.]]>

Ein Symposium untersucht das Thema Geburtshilfe in der Einwanderungs­ge­sell­schaft

von Isabel Merchan

Wie beeinflusst die Erfahrung der Migration Schwangerschaften und Geburten von Frauen? Mit dieser Frage haben sich die Gesundheitswissenschaften in den letzten Jahren international wiederholt beschäftigt. Dabei wurde in Studien festgestellt, dass Frauen mit Migrationshintergrund höheren Risiken in ihren Schwangerschaften ausgesetzt sind. Sie erleiden zum Beispiel öfter als Frauen ohne Migrationshintergrund Fehlgeburten oder müssen ihre Kinder per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Die Gründe dafür sind sozialer Natur: Migrantinnen werden seltener von den an den Mittelschichten orientierten Informationen und Angeboten des Gesund­heits­sys­tems erreicht. Sie nehmen daher Leistungen wie Vorsorge­un­ter­suchungen oder Wochenbett-Hilfen weniger in Anspruch.

© media4us / foto: Anja-Lina Keilbach – Beitrag aus dem Fotowettbewerb “Zeig’s uns!“

In Deutschland ist die Datenlage zu diesem Thema veraltet und bruchstückhaft. Um sie zu aktualisieren, hat ein Team aus Berliner und Bielefelder Wissenschaftlern eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Studie durchgeführt und dafür 7.100 Schwangere befragt. Knapp 60 Prozent von ihnen hatten einen Migrationshintergrund, gut 40 Prozent nicht. Befragt wurden Frauen, die zur Entbindung in die Berliner Kliniken am Urban, in Neukölln und Virchow im Wedding gekommen waren. Ausgesucht wurden diese Kliniken, weil sie in Bezirken liegen, in denen besonders viele Migranten leben.

Mit der Studie sollte herausgefunden werden, ob es die beschriebenen Risiken für Schwangere mit Migra­tions­hin­tergrund hierzulande noch immer gibt. Die in neun Sprachen übersetzten Fragebögen konzentrierten sich auf Themen wie Schwangerenvorsorge, Stillabsicht und allgemeines Gesundheitsverhalten. Kenntnisse über die Versorgung und mögliche Komplikationen während der Geburt wurden aus den in den Kliniken erfassten Daten übernommen. Sechs Monate später wurde ein Teil der Frauen erneut befragt, diesmal zu Komplikationen im Wochenbett, der Betreuung durch eine Hebamme und der Nutzung von Früherkennungsuntersuchungen für ihre Babys.

Der größte Teil der befragten Migrantinnen war selbst eingewandert. Zwei etwas kleinere Gruppen umfassten Frauen der zweiten, hier geborenen Migrantengeneration bzw. hatten ein Elternteil, das im Ausland geboren war. Von den für die Studie befragten Frauen der ersten Generation hatten 21,9 Prozent einen deutschen Pass, bei den Frauen der zweiten Generation waren es 71 Prozent. Die Befragungsergebnisse wurden mit denen von Frauen deutscher Herkunft verglichen.

Die Studie zeigt deutlich die Vielfalt der Herkunftsländer der Befragten oder ihrer Eltern. Man müsse Abschied nehmen vom pauschalen Bild der Migrantin, betonte daher Professor Theda Borde bei der Präsentation der Studienergebnisse auf dem Symposium „Viele Risiken – gutes Outcome? Geburtshilfe in der Einwanderungsgesellschaft“ am 20. Februar 2013 in der Berliner Charité. Borde ist Rektorin der Alice Salomon Hochschule in Berlin und befasst sich seit langem mit dem Thema Migration und Gesundheit.

Bei der Nutzung von Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft gibt es der Studie zufolge keine großen Unterschiede mehr zwischen Frauen mit und ohne Migrationshintergrund, auch nicht bei der Anzahl der Termine. Eine Ausnahme bilden Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus.

Leichte Unterschiede zeigen sich darin, dass Frauen deutscher Herkunft öfter als Frauen mit Migrationshintergrund Geburtsvorbereitungskurse besuchen und sich in der Zeit nach der Geburt eher von einer Hebamme betreuen lassen. Allerdings gleichen sich diese Unterschiede aus, je höher der „Akkulturationsgrad“ der Befragten ist. Dann wird die Nutzung von Angeboten rund um Schwangerschaft und Geburt immer ähnlicher. Mit Akkulturation meinen Migrationsforscher einen Prozess, in dem sich Migranten mit ihrer Umgebung vertraut machen und sich ihr anpassen oder sich die Umgebung ihnen anpasst. „Je länger jemand hier lebt, desto mehr Akkulturation gibt es“, so Borde. Im Gegensatz zu den 80er Jahren habe sich viel verändert.

Im Vergleich zu früheren Studien zeige die aktuelle Befragung sehr erfreuliche Ergebnisse, stellte Professor Oliver Razum von der Universität Bielefeld auf dem Symposium fest. Viele der in früheren Studien und in der Forschungsliteratur dargestellten erhöhten gesundheitlichen Risiken bei Schwangeren mit einem Migrationshintergrund hätten sich in der Studie nicht bestätigt. „Die Gesundheitsdienste in Berlin schaffen es, gleiche Geburtsvoraussetzungen zu schaffen“, sagte Razum. Es bestünden sprachliche Barrieren, doch würden Dolmetscher offenbar so eingesetzt, dass die Kommunikation funktioniere.

Trotz der positiven Resultate zeigt die Studie allerdings auch, dass es zwischen Migrantinnen und einheimischen Frauen auch nach Jahren der Einwanderung noch immer gravierende soziale Unterschiede gibt. So zeigten sich bei Frauen mit einem Migrationshintergrund ein höherer Bedarf und eine stärkere Nutzung materieller Hilfen während der Schwangerschaft. Große Unterschiede zeigen sich etwa bei der Erwerbstätigkeit und beim Einkommen: Mit weniger als 900 Euro im Monat müssen 26,5 Prozent der Einwanderinnen der ersten Generation auskommen, 22,3 Prozent der Einwanderinnen der zweiten Generation und 16,5 Prozent der Frauen mit einem eingewanderten Elternteil – aber nur 11,3 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Prozess der Akkulturation irgendwann auch auf die sozialen Unterschiede auswirken und diese ausgleichen wird.

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Berlin: wie eine griechische Insel? https://www.media4us.de/wp/2013/02/25/berlin-wie-eine-griechische-insel/ https://www.media4us.de/wp/2013/02/25/berlin-wie-eine-griechische-insel/#comments Mon, 25 Feb 2013 08:55:45 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=1275 Immer mehr junge Südeuropäer zieht es in die deutsche Hauptstadt. Arbeit, Studium und das Leben in einer der spannendsten Städte Europas, das sind die häufig genannten Gründe für einen Umzug nach Berlin. Aber was genau hoffen die jungen Leute aus Spanien, Griechenland, Portugal und Italien hier zu finden? Tiago Mansilha hat mit vier von ihnen gesprochen.]]>

Südeuropa erlebt zur Zeit wirtschaftliche Turbulenzen, von denen ein Ende nicht abzusehen ist. Ein Großteil der jungen Menschen ist arbeitslos, für viele von ihnen stellt Berlin eine Alternative dar. Aber Arbeit ist nicht der einzige Grund für ein Leben in der deutschen Hauptstadt. Hier sind die Geschichten von Alonso, Daniele, Sara und Persefoni.

Griechenland: 58%
Spanien: 56%
Portugal: 38%
Italien: 37%

Das sind die Eurostat-Zahlen für Jugendarbeitslosigkeit (junge Menschen unter 25 Jahren) in den Ländern Südeuropas im Dezember 2012. Im Gegensatz dazu kommt Deutschland nur auf rund 8 %, es ist das einzige Land der Europäischen Union, in dem die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zu 2008 sank.

In der Hauptstadt Berlin ist das Ambiente multikulturell, immer mehr Südeuropäer kommen hierher. 2011 stiegt laut der Süddeutschen Zeitung die Zahl der Spanier und Spanierinnen in Berlin um rund 50 % im Vergleich zum Vorjahr, die Anzahl der Griechen verdoppelte sich knapp. Arbeit, Studium und das Leben in einer der spannendsten Städte Europas, das sind die häufig genannten Gründe für einen Umzug nach Berlin. In Wirklichkeit ist die Arbeitssituation der Stadt nicht ganz so rosig im Vergleich zum Rest Deutschlands. Im Januar 2013 waren 12,2 % der Jugendlichen arbeitslos. Diese Zahl bleibt zwar deutlich unter den Arbeitslosenzahlen Südeuropas, ist in Deutschland jedoch die höchste.

Was hoffen die jungen Leute aus Spanien, Griechenland, Portugal und Italien in Berlin zu finden? Arbeit – das ist eine der Antworten, logisch. Aber es ist nicht der einzige Grund, und oft auch nicht der wichtigste.

Im Uhrzeigersinn: Daniele, Persefoni, Sara und Alonso © Tiago Mansilha

Wenn Berlin ein Zufall ist
Alonso Acosta, 28 Jahre, Spanier

“Mit 19 habe ich angefangen zu arbeiten. In Spanien war ich als Kühltechniker tätig. Ich reparierte Klimaanlagen in Einkaufszentren und Fabriken. Der Grund warum ich hier bin? Ich bin Vater geworden. Ich habe meine Partnerin, eine Deutsche, in Madrid kennengelernt. Sie wollte unsere Tochter in Deutschland bekommen, denn die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich bereits und Unterstützung für Mütter wurde so gut wie nicht mehr angeboten. Hier in Deutschland dagegen kann sie mit Hilfe des Staates unsere Tochter großziehen und weiter studieren.

In Madrid war ich in einem sehr guten Unternehmen angestellt. Ich war fast 7 Jahre lang in der Firma, ich hatte ein Auto und rechtliche Ansprüche. Eigentlich dachte ich, dass mich nichts aus Madrid weglocken könnte. Aber im Leben kommt es oft anders. Berlin war ein Zufall, ich habe es mir nicht ausgesucht. Wenn meine Partnerin Chinesin gewesen wäre, wäre ich jetzt in China. Ich werde hier bleiben, bis meine Tochter älter ist. Berlin ist eine sehr liberale Stadt und durch die Wirtschaftskrise hätte ich Angst, nach Madrid zurückzukehren, denn mein Job dort ist schon lange weg. Mein Vater ist in der Krise arbeitslos geworden, meine Mutter arbeitet momentan noch in einem Krankenhaus, aber auch sie hat Angst, ihre Arbeit zu verlieren. Diese Gefahr besteht für alle öffentlichen Angestellten, die nach 2004 eingestellt wurden.”

Berlin – Ort der Freiheit
Daniele Simocini, 25 Jahre, Italiener

“Ich habe in Italien einen Universitätsabschluss in Fremdsprachen gemacht und in drei verschiedenen Unternehmen gearbeitet. In der letzten Firma ist das Arbeitsvolumen durch die Krise stark zurückgegangen. Man hat mir so schlechte Bedingungen angeboten, dass ich mich entschloss, zu kündigen und eine Reise durch Europa zu machen. Ich kam auch nach Berlin, wo es mir so sehr gefiel, dass ich beschloss zu bleiben. Jetzt lerne ich Deutsch und arbeite in einem Restaurant. In Berlin gibt es zwar nicht viele Arbeitsoptionen, aber die Lebenshaltungskosten sind nicht sehr hoch. Ich arbeite an fünf Tagen die Woche fünf Stunden und kann meine Ausgaben decken.

In Deutschland funktioniert der Sozialstaat, in Italien nicht mehr. Die jungen Menschen haben keine Arbeit und leben bei ihren Eltern. Auch die Einstellung der Menschen ist ein Problem. Ich habe in einem kleinen Dorf gewohnt und im Vergleich dazu ist Berlin perfekt. Klar, die Tatsache, dass ich schwul bin, hat mein Leben beeinflusst. In Italien kann man nicht offen sagen “Ich bin homosexuell”. Das kann sogar gefährlich sein, besonders in Süditalien, wo viele noch konservativer sind. Ich persönlich bin schon offen mit meiner Sexualität umgegangen, aber hier in Berlin fühle ich mich viel wohler. Vor allem wegen der besseren Rahmenbedingungen: Mein Arzt etwa ist auf  Fragen im Zusammenhang mit Homosexualität und den Problemen homosexueller Paare spezialisiert. In Berlin fühle ich mich wohl.”

Berlin ist Alleinsein
Sara Cardoso, 25 Jahre, Portugiesin

“Wenn kein Schnee liegt, fahre ich immer Fahrrad. Kurz nach meiner Ankunft in der Stadt war ich nach einem Kneipenabend mit Freunden auf dem Weg nach Hause, es war ungefähr zwei Uhr morgens. Zu der Zeit war ich wie ein Schwamm, ich habe alle Eindrücke aufgesogen. Mein Weg führte direkt durchs Zentrum, vorbei am Fernsehturm, am Alten Museum und an der Humboldt-Box. Ich fand das so wunderbar, dass ich vom Fahrrad stieg und mich auf den Rasen legte. Es war zwei Uhr morgens und ich war alleine. Ich habe in den Himmel geblickt, ich habe alles um mich herum angeschaut und bin eingeschlafen. Ich habe mich sicher gefühlt, es war Nacht und ich machte, was ich wollte. Ich und mein Fahrrad. Berlin ist Alleinsein. Und manchmal ist Alleinsein eine wunderbare Sache.

Bevor ich hierher kam, habe ich meinen Schulabschluss gemacht und angefangen, in Portugal Design zu studieren. Nach drei Jahren stellte ich fest, dass das Studium nicht das war, was ich wollte, und fing an zu arbeiten, um mich selbst zu finanzieren. Zu der Zeit begann ich mit den Vorbereitungen, Lissabon zu verlassen, denn ich war an dem Unterricht, den ich in Portugal erhalten konnte, nicht interessiert. Alles, was ich in der Uni entwerfen sollte, war sehr konventionell. Wenn es eine Kopie von bereits Existierendem war, um so besser. Ich merkte, wie ich stagnierte. Wenn meine Fakultät bessere wirtschaftliche Bedingungen gehabte hätte, hätten wir vielleicht auch Parabolantennen oder Autos entwerfen können, wie es deutsche oder holländische Studenten tun. Für mich kamen mehrere europäische Städte in Betracht und ich entschied mich für Berlin, weil es billiger als London oder Amsterdam ist und weil es gute Studienbedingungen bietet. Hier kann jeder studieren. In Portugal muss ich 1.000 Euro im Jahr zahlen, ohne jegliche Unterstützung, hier zahle ich weniger und habe ein Semesterticket und bin krankenversichert.

Es ist nicht leicht, einen typischen Immigranten in Berlin zu finden. Die Leute kommen hierher, weil sie studieren oder Kunstprojekte verwirklichen möchten. Ich bin in Lissabon geboren und aufgewachsen. Ich kenne jeden Winkel, die Stadt ist klein und anstrengend. Berlin hat mir neue Möglichkeiten geboten.”

Berlin – ein Ort für alle
Persefoni Myrtsou, 26 Jahre, Griechin

“Es gibt den greifbaren Teil der Krise: die steigende Arbeitslosigkeit, die sinkenden Gehälter. Dann gibt es noch den psychologischen Aspekt, wie die Krise sich auf die Menschen auswirkt. Viele junge Menschen leiden an Depressionen, sie werden zu tatenlosen Zuschauern ihres Lebens und erheben ihre Stimmen nicht mehr. Die psychologischen Einschränkungen ist eines der größten Probleme der Krise.

Ich habe Griechenland mit 18 Jahren verlassen, um in Schottland zu studieren, vor vier Jahren kam ich nach Berlin. Heute kann ich sagen, dass Berlin mir schon das gegeben hat, was ich wollte: ich wollte ohne Studiengebühren Kunst studieren und weiter im akademischen Rahmen arbeiten. Ich war als Bildhauerin tätig, ich habe bei der Gestaltung eines ottomanischen Restaurants geholfen und nach und nach besser Deutsch gelernt, bis ich an der UdK für ein Masterstudium angenommen wurde.

Die Welt der Kunst ist in Berlin gleichzeitig klein und groß, das hängt von den Zielen des Einzelnen ab. Es gibt Künstler, die mit Galerien zusammenarbeiten möchten, und es gibt viele Galerien in der Stadt. Man muss jedoch geschickt sein, die besten Kontakte knüpfen, die richtigen Leute überzeugen und sehr gute Pressearbeit machen. Aber man findet auch viele unabhängige Gruppen, die in alternativen Räumen arbeiten, die offen sind für neue Ideen, neue Namen, neue Gesichter und neue Projekte. Es gibt viele Leute und es passiert viel. In Berlin gibt es für jeden Künstler einen Ort.
Eines der größten Probleme ist jedoch die Flüchtigkeit. Die Menschen kommen und gehen. Viele Arbeitsverträge sind auch nur befristet. Das macht die Stadt einerseits sehr “deutsch”, denn die Schlüsselstellen sind immer von Deutschen besetzt. Andererseits macht es sie zu einer griechischen Insel, auf die im Sommer die Gäste kommen, sie betrinken sich, stellen alles mögliche an, verlieren die Kontrolle und hauen dann wieder ab.”

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„Selbstbestimmung ist ein starkes Wort“ https://www.media4us.de/wp/2012/11/14/selbstbestimmung-ist-ein-starkes-wort/ https://www.media4us.de/wp/2012/11/14/selbstbestimmung-ist-ein-starkes-wort/#comments Wed, 14 Nov 2012 09:25:59 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=915 Bersant Deva ist Informatikstudent aus Berlin mit kosovarischen Wurzeln. Mimoza Troni hat ihn getroffen und mit ihm gesprochen. Über „die Geschichte seiner Eltern“, über Apps, mit denen man Nachrichten an Orte statt an Menschen verschickt und sein politisches Engagement in 2000km Entfernung. Ein Porträt.]]>

von Mimoza Troni

Bersant Deva ist Informatikstudent aus Berlin mit kosovarischen Wurzeln, der uns einen Einblick in sein Leben gibt: Er erzählt von „der Geschichte seiner Eltern“, von Apps, mit denen man in Zukunft Nachrichten an Orte statt an Menschen verschickt und sein politisches Engagement in 2000km Entfernung. Ein Porträt.

Er ist etwas über 1,80m groß, hat braunes Haar und trägt meistens ein schüchternes Lächeln auf den Lippen. Aber wenn Bersant lacht, heißt das noch lange nicht, dass er sich auch freut.

© Privat / Bersant Deva

Ein Berliner mit Lokalpatriotismus

Dieses Lächeln kann auch Skepsis vermitteln, besonders wenn wir über Integration in Deutschland reden und über das „gescheiterte Multikulti“, wie es Merkel vor zwei Jahren formuliert hat. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo diese Politiker ihre Annahmen herhaben“, sagt er und ergänzt, dass das Innovationslabor der Telekom, wo er als studentische Hilfskraft arbeitet, das beste Beispiel für ein multikulturelles Miteinander sei, denn „die Hälfte der Mitarbeiter sind nicht deutsch und der Großteil spricht Englisch.“ Integration hätte aber besser laufen können, sagt Bersant und nennt Kanada, das eine kontrollierte Migration verfolgt, als Beispiel. „Da hat Deutschland einen großen Nachholbedarf“ und müsste die aktuellen Migranten besser fördern. Es sei schließlich dieser multikulturelle Charakter, der insbesondere Berlin auszeichnet, fährt er fort – wieder mit diesem Lächeln, diesmal, weil er wohl weiß, was er als Nächstes sagen wird: Seit 23 Jahren lebe er in Berlin und wenn er nach seiner Identität gefragt wird, dann sei er zu erst einmal Berliner. „Auch wirklich Berliner und mit diesem Lokalpatriotismus versehen.“

„Es ist die Geschichte meiner Eltern“

In Deutschland jedoch wird er nicht oft nach seiner Identität gefragt. „Das habe ich eher in den USA erlebt“, erzählt Bersant. Dort hat er ein Auslandssemester an der Universität in Massachusetts absolviert. Auf die Frage nach der Identität antwortet er in der Regel, dass er in Berlin lebt und studiert, aber ursprünglich aus dem Kosovo kommt. 1989 stellte die damalige jugoslawische Regierung seinen Vater als Albanisch-Lehrer in Berlin ein, damit die Teilnehmer eines Rückintegrationsprogramms die albanische Sprache nicht verlernten. Nachdem die Unruhen im Kosovo begannen und die jugoslawische Regierung unter Milosevic die albanische Bevölkerung aus dem öffentlichen Dienst ausschloss, blieben sie hier. Das sei aber „eher die Geschichte meiner Eltern und ich war einfach nur Kind“, sagt er heute.

Eine Nachricht für den Ernst-Reuter-Platz

Sein Leben heute dreht sich gerade um seine Masterarbeit. Darin geht es um locations dependent messaging, das sind Dienste, die einen Aufenthaltsort bestimmen. Bersant aber beschäftigt sich vorrangig damit, wie man zukünftig Nachrichten an Orte anstelle von Menschen verschicken wird. In Bersants Worten heißt das: „Wir sind gerade in der Nähe des Ernst-Reuter-Platzes, also schickt man eine Nachricht an den Ernst-Reuter-Platz und jeder, der sich für diesen Ort interessiert oder gerade hier ist, erhält diese Nachricht.“ Solche Nachrichten könnten vor allem für Erstsemester wertvoll sein, „denn wenn sie in ein Gebäude gehen, erfahren sie, in welchem Raum welche Vorlesung stattfindet.“

In der Nähe des Ernst-Reuter-Platzes, hinter der Marchbrücke, befindet sich sein Büro. Darin befinden sich eine kleine Sitzecke und drei Schreibtische, an den Wänden kleben vereinzelt kleine Poster, auf seinem Schreibtisch liegt ein bunter Notizblock, sehr klein, dennoch einer der wenigen Farbtupfer in diesem Raum. Hier erzählt er mir auch, dass er sich schon immer für Politik interessiert hat. Mit 14 hat er bereits das politische Wochenmagazin Der Spiegel abonniert. Die deutsche Tages- und Lokalpolitik beschäftigt ihn, aber stört ihn auch, beispielsweise weil „das große Berlin und Brandenburg nicht in der Lage sind, einen Flughafen zu bauen.“

Ohne Selbstbestimmung, keine Selbstverantwortung

Auch in der kosovarischen Politik gibt es viel, das ihn stört: Das ehemalige Staatseigentum werde „rausgehauen“, denn die Leute, die gerade in der Regierung sind, wollen sich möglichst viel Geld „unter den Nagel zu reißen“. Wenn er von diesen Dingen erzählt, wird seine ruhige Stimme etwas kräftiger, stärker, vorwurfsvoller. Diese Wut ist es, aus der sein Engagement für die politische Bewegung Bewegung Vetëvendosje! (Selbstbestimmung!) entspringt. „Um es mit Joachim Gaucks Worten zu sagen“, fährt er auf einmal fort, reibt sich die Stirn und überlegt noch einmal, wie Gaucks Aussage genau lautete. Nämlich: „Nur bei der Annahme von Selbstbestimmung kann es auch Selbstverantwortung geben.“ Es ist nicht das einzige Mal, dass er deutsche Politiker zitiert und auf den Kosovo Bezug nimmt. Es scheint selbstverständlich, dass diese zwei Welten für ihn zusammengehören.

Eine ‘68er Bewegung für den Kosovo

Ganz kritikfrei ist allerdings auch Vetëvendosje! nicht. Der Bewegung wird vorgehalten, dass es bei Demonstrationen immer wieder zu Ausschreitungen kommt. „Ich will das nicht schönreden“, sagt Bersant, aber für ihn sind Demonstrationen und Proteste „legitime Mittel, die unsere demokratischen Strukturen zusammenhalten.“ Außerdem sei sie den deutschen Studentenbewegungen von 1968 ähnlich, da auch Vetëvendosje! die „Strukturen des Polizeistaates“ aufbrechen will, die sie seit dem Krieg etabliert sieht. Er streckt die rechte Hand in Richtung Tisch aus und lässt sie an der Tischkante entlang streifen, überlegt kurz und sagt schließlich: „Selbstbestimmung ist ein starkes Wort.“ Das ist die zentrale Forderung dieser Bewegung, die weder der „korrupten Regierung“, noch der internationalen Gemeinschaft, die im Kosovo für rechtsstaatliche Strukturen sorgen soll, zugesteht, dem kosovarischen Volk vorzuschreiben, wie der Kosovo aussehen soll.

Für den Kosovo wünscht sich Bersant einen Umbruch, weil es noch zu viel gibt, was „nicht funktioniert.“ Er hofft, dass die nächsten Wahlen „in eine richtige Richtung ausschlagen“ und meint wohl mehr Stimmen für diese Bewegung, die erst seit 2010 im Parlament vertreten ist, aber seit 2005 besteht. An der Spitze des Kosovos soll eine kompetente und fähige Regierung stehen, sagt er, deshalb sei er der politischen Opposition beigetreten. „Wenn wir keinen Beitrag leisten, wer dann?“. Diese Frage versieht er wieder mit einem Lächeln und diesmal ist auch sein Blick freundlich.

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Aus den Untiefen des Untersuchungsausschusses https://www.media4us.de/wp/2012/10/09/aus-den-untiefen-des-untersuchungsausschusses/ https://www.media4us.de/wp/2012/10/09/aus-den-untiefen-des-untersuchungsausschusses/#comments Tue, 09 Oct 2012 10:01:31 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=847 Der Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Aufarbeitung der NSU-Morde geht in eine neue Runde. Nach den Skandalen um die bewusste Vernichtung von Akten zeigt sich immer deutlicher, in welchem Umfang die hiesigen Sicherheitskräfte versagt haben. Ferhat Epik wohnte einigen Sitzungen des Gremiums bei und hat sich Gedanken über die Probleme der deutschen Sicherheitsbehörden gemacht. ]]>

Ein Kommentar von Ferhat Epik

Der Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Aufarbeitung der NSU-Morde geht in eine neue Runde. Nach den Skandalen um die bewusste Vernichtung der vielleicht wichtigsten Akten und der Aufdeckung einiger anderer Skandale zeigt sich immer deutlicher, in welchem Umfang die hiesigen Sicherheitskräfte versagt haben.

Hier soll es aber nicht um die vom Ausschuss geleistete Arbeit gehen, über die in den unterschiedlichen Medien berichtet wird, sondern um die Probleme in unseren Sicherheitsbehörden.

Ich hatte die Gelegenheit, mehreren Sitzungen beizuwohnen.

Foto: © Ferhat Epik

Im Dschungel der Zuständigkeiten und personellen Querelen fällt es schwer den Durchblick zu wahren. Es stellt sich die Frage, warum immer erst etwas Gravierendes passieren muss, damit Veränderungen in Angriff genommen werden. Auch wenn insbesondere der Verfassungsschutz sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, sind, wie sich zeigt, fast alle Sicherheitsbehörden von diesem Skandal betroffen. Auch die Staatsanwaltschaften dürfen vor diesem Hintergrund nicht unangetastet bleiben. Bis jetzt spielen sie in der Berichterstattung allerdings kaum eine Rolle.

Einige Politiker fordern nun die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Das ist übertrieben und voreilig. Allerdings reichen strukturelle Reformen längst nicht aus, um die Probleme zu beheben. Wir brauchen eine Revolution in und mit den Sicherheitsbehörden und keine Reform.

Die Ausbildung:
Viele Verfassungsschützer verdienen den Namen nicht. Weder haben Sie eine sachgemäße Ausbildung genossen, noch die Möglichkeiten sich selbst auszubilden. Wir brauchen im Grunde eine sogenannte „Verfassungsschützerausbildung“. Eine Ausbildung also, die den Rekruten einzig und allein das Handwerk von Verfassungsschützern lehrt. Eine alleinige Ausbildung an Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung reicht da nicht aus. Dies bestätigen vor allem die Aussagen von Verfassungsschützern im Untersuchungsausschuss. Auch Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, forderte dies jüngst in einem Interview.

Die Struktur:
Wer macht hier eigentlich was? Der Verfassungsschutz befindet sich im Moment in einem Vakuum. Was er macht und wie er agiert ist nur wenigen Experten bekannt. Mal bedient er sich nachrichtendienstlicher Werkzeuge zur Beschattung von Menschen. Mal führt er polizeiähnliche Einsätze zur Bewachung und Beschattung von Verfassungsfeinden durch. Ob es sich beim Verfassungsschutz nun um einen Geheimdienst oder eine Geheimpolizei handelt, ist schon lange nicht mehr klar, auch den Mitarbeitern selbst nicht. Es zeigt sich, dass dringend geklärt werden muss, welchen Auftrag der Verfassungsschutz hat und wie er sich von den anderen Sicherheitsbehörden, allen voran der Polizei, abgrenzt.

Mit der sogenannten „Neo-Nazi-Datei“ hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich reagiert und den ersten und notwendigen Schritt getan. Doch jede Datei ist nur so schlau wie die Daten, die eingespeist werden. Damit kommen wir zum größten Problem der Sicherheitsbehörden. Ohne verallgemeinern zu wollen: es gibt länderübergreifend eine Blindheit auf dem rechten Auge. Lange vor dem NSU-Skandal trat diese zutage. Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus beklagen seit Jahren eine Behinderung ihrer Arbeit und die Verharmlosung von rechten Straftaten durch Polizei und Behörden. Es wundert einen nicht, dass die erste Amtshandlung von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) jene war, alle Extremisten gleichzusetzen und die Mittel gegen Rechtsextremismus so stark zu kürzen, dass viele wichtige Initiativen den Hut nehmen mussten. Zudem wurden alle Initiativen gegen Rechtsextremismus pauschal unter Linksextremismusverdacht gestellt. Dass eben diese Initiativen häufig über genauere Zahlen über rechtsextreme Straftäter verfügen als die Polizei, sei dabei nur am Rande erwähnt.

Bei der Vernehmung von Axel Mögelin, dem LKA-Ermittlungsführer in Baden-Württemberg zum Mordfall Kiesewetter klappt einem regelrecht die Kinnlade herunter. Auf die Frage, warum jahrelang sogenannte „Ziegeunerbanden“ verdächtigt wurden, hat er keine Antwort. Unmittelbar nach dem Mord an der jungen Polizistin wurden die Autobahnauffahrten in näherer Umgebung kontrolliert, Nummernschilder und Fahrzeugart notiert. In diesen Notizen kommt auch der Wohnwagen des Terrortrios vor. Obwohl Zeugen zur Tatzeit einen Wohnwagen beobachteten, wurde diese Spur nicht weiter verfolgt. Darauf angesprochen, antwortet Mögelin knapp: Das sei zu aufwendig gewesen, das wäre nicht gegangen.

Dass aber das LKA teilweise sehr aufwendig und kostspielig Spuren in Russland nachging und mit dortigen Polizeibehörden im regen Austausch stand, bleibt unerwähnt – bis der Grünen Abgeordnete Wolfgang Wieland ihm das in Erinnerung ruft. Ein Schulterzucken als Antwort.

Hier zeigt sich der Unterschied zwischen Reform und Revolution. Eine Reform ändert Strukturen, eine Revolution die Gedanken und den Geist. Eine Veränderung ist vor allem in diesem Bereich nötig. Verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen ist äußerst schwer. Und im Moment sieht es eher düster aus für die deutschen Sicherheitsbehörden.

 

 

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Einzelne Geschichten, einzelne Schicksale https://www.media4us.de/wp/2012/07/31/einzelne-geschichten-einzelne-schicksale/ https://www.media4us.de/wp/2012/07/31/einzelne-geschichten-einzelne-schicksale/#comments Tue, 31 Jul 2012 15:03:55 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=701 Die Journalistin Elektra Paschali im Gespräch mit fünf jungen Griech_innen, die vor kurzem nach Deutschland gekommen sind. Sie erzählen vom Ankommen in einer neuen Stadt, von ihrem Leben in Berlin, ihren Erfahrungen mit Behörden und der Suche nach Arbeit. Eine Audio-Collage individueller Auswanderungsgeschichten. ]]>

Fünf  junge Griech_innen, die vor kurzem nach Deutschland gekommen sind. Sie erzählen vom Leben in Berlin, ihren Problemen mit den Behörden, der Suche nach Arbeit, dem Deutschlernen und den Erfahrungen in der Schule. Es geht um Schwierigkeiten, aber auch um kleine Erfolge und alternative Lebensszenarien einer neuen griechischen Einwanderergeneration.

Eine Collage individueller Auswanderungsgeschichten von Elektra Paschali

 

 

 

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Qualifizierte Migranten werden benachteiligt https://www.media4us.de/wp/2012/06/28/qualifizierte-migranten-werden-benachteiligt/ https://www.media4us.de/wp/2012/06/28/qualifizierte-migranten-werden-benachteiligt/#comments Thu, 28 Jun 2012 15:02:54 +0000 https://www.media4us.de/wp/?p=179 von Hadija Haruna Fachkräfte mit Migrationshintergrund haben es schwer – auch im Berliner Arbeitsmarkt. Dabei werden sie für die Wirtschaft immer wichtiger. Zümrüt Öztürk ist Werbekauffrau und frischgebackene Medienwissenschaftlerin auf Jobsuche. Die Deutschtürkin glaubt, dass ihr Name die Suche nach einem Job beeinträchtigt. Das habe sie schon einmal erlebt. Nach dem Abitur, als sie einen [....]]]>

von Hadija Haruna

Fachkräfte mit Migrationshintergrund haben es schwer – auch im Berliner Arbeitsmarkt. Dabei werden sie für die Wirtschaft immer wichtiger.

Zümrüt Öztürk ist Werbekauffrau und frischgebackene Medienwissenschaftlerin auf Jobsuche. Die Deutschtürkin glaubt, dass ihr Name die Suche nach einem Job beeinträchtigt. Das habe sie schon einmal erlebt. Nach dem Abitur, als sie einen Ausbildungsplatz suchte. Die 28-Jährige erinnert sich an das verstörende Gefühl, als ihr die Sekretärin Jahre nach der Ausbildung gestand, dass sie die Einladung zum Bewerbungsgespräch nur ihrem Foto zu verdanken habe. Sie war lange die einzige Mitarbeiterin mit Migrationshintergrund in ihrer Agentur. „Eigentlich sollten nur namentlich deutsch klingende Bewerber eingeladen werden. Ich hatte Glück, weil die Sekretärin mein Bild so sympathisch fand.

Selbst hoch qualifizierte Migranten haben es auf dem Arbeitsmarkt oft schwer: „Hindernisse ergeben sich nicht nur wie viel diskutiert durch fehlende Qualifizierung oder Sprachdefizite, sondern auch durch eine informelle Diskriminierung“, sagte Carola Burkert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung jetzt auf der Fachtagung „Beyond Anerkennung – Wege zum beruflichen Erfolg für hoch qualifizierte Migranten“. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) müssen Migranten allein wegen ihres fremdländischen Namens drei- bis vier Mal so viele Bewerbungen schreiben wie Deutsche, bis sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden.

So geht Potenzial verloren, das die Region dringend braucht. Die Bilanz der Angebots- und Nachfrageseite in Berlin und Brandenburg zeigt, dass künftig rund 460 000 Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, weil Qualifikation oder Arbeitskräfte fehlen. Das geht aus der ersten gemeinsamen „Fachkräftestudie Berlin-Brandenburg“ hervor, die Berlins Arbeitssenatorin Carola Bluhm (Linke) und Brandenburgs Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) vor kurzem vorgestellt haben. „Das sind rund 18 Prozent der benötigten Erwerbstätigen aller Qualifikationsstufen, die bis 2030 fehlen werden, wenn keine Maßnahmen eingeleitet werden“, sagt Margrit Zauner, Referatsleiterin für berufliche Qualifizierung in der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. Am meisten betroffen seien die Bereiche Erziehung, Lehramt und Ingenieurswissenschaft – und in den Ausbildungsberufen die Pflege, das verarbeitende Gewerbe und insbesondere der Dienstleistungsbereich, der in Berlin 80 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer ausmacht.

Der Senat hat Veranstaltungen und Projekte angekündigt, die im „Masterplan Qualifizierung“ umgesetzt werden sollen. Dieser wird bis zum Sommer von der Verwaltung sowie Wirtschafts- und Sozialpartnern erarbeitet und soll die Erwerbstätigkeit zu wenig beachteter Gruppen umfassen, darunter die Migranten.

Bereits am Montag wurde die Internet- und Plakatkampagne „Berlins Wirtschaft braucht Dich“ vorgestellt – ein Projekt, das sich an Unternehmen und Jugendliche mit Migrationshintergrund richtet. „Das sind momentan 40 Prozent der Kinder in Berlin, doch deren Ausbildungsquote ist in den letzten Jahren drastisch gesunken. Diese Entwicklung können wir uns nicht mehr leisten“, sagt Zauner.

Auch insgesamt hat die Zahl neuer Ausbildungsverträge abgenommen, wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg am Dienstag mitteilte. 2009 wurden in der Stadt 19 466 Lehrverträge geschlossen – 5,9 Prozent weniger als im Vorjahr. Die meisten Abschlüsse gab es in der Industrie, im Handel und im Handwerk.

Hoch qualifizierte und gering qualifizierte in Berlin geborene Migranten der zweiten Generation sind mit unterschiedlichen Problemen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert. Es geht aber auch um Zugewanderte. Denn wer seine Ausbildung nicht in Deutschland gemacht hat, findet noch schwerer einen Job. Viele haben sich in ihren Herkunftsländern qualifiziert und Berufserfahrung gesammelt, können aber ihr Wissen hier nicht einsetzen und landen in einer beruflichen Sackgasse. Das Problem ist die Vergleichbarkeit der Abschlüsse und deren Verwertbarkeit für den Arbeitgeber. So ist die Anerkennung von Abschlüssen der verschiedenen Migranten- und Berufsgruppen bisher unterschiedlich geregelt. Spätaussiedler beispielsweise haben ein grundsätzliches Recht auf Anerkennung ihrer Studien- und Berufsabschlüsse, nicht aber jüdische Kontingentflüchtlinge. EU-Bürger können bei einer Teilanerkennung in einem regulierten Beruf eine Eignungsprüfung oder Anpassungsqualifizierung absolvieren. Angehörige von Drittstaaten haben hingegen kein Recht auf dieses Verfahren. Auch in regulierten Berufen wie dem Arzt, Apotheker oder Rechtsanwalt endet das Verfahren häufig ohne staatliche Anerkennung. Die Folge: Qualifizierte Migranten arbeiten in fachfremden Berufen, in niedrig qualifizierten Jobs oder sind arbeitslos.

Um die bisher nicht in den Arbeitsmarkt integrierten Migranten einzubinden, müsse ihnen also der Zugang erleichtert werden, sagt Referatsleiterin Zauner. Angesichts des Fachkräftemangels hat die Bundesregierung einen Eckpunkteplan zur Verbesserung der Anerkennung von Berufsabschlüssen aus dem Ausland beschlossen. „Die Gruppe der Migranten zeigt die Schwächen des Systems ganz besonders auf. Aber auch ein Erzieher aus Baden Württemberg hat es schwer, hier in Berlin Fuß zu fassen. Das muss sich ändern“, sagt Zauner. Mittelfristig könne der Arbeitsmarkt durch effektive Weiterbildung gestützt werden, sagt Iris Pfeiffer vom Prognos-Institut. Mit weiteren Überlegungen hätte man jedoch schon viel früher beginnen sollen. „Jetzt müssen wir langfristig planen, damit die Konzepte in zehn Jahren Erfolge zeigen.“

Hadija Haruna studierte Politikwissenschaften in Frankfurt. Als Redakteurin arbeitet sie für die junge Welle des Hessischen Rundfunks (you fm) und als freie Autorin unter anderem für den Tagesspiegel, das Fluter Magazin und die ZEIT. Auf ihrer Homepage hadija-haruna.de veröffentlicht die Deutsch-Ghanaherin regelmäßig ihre Texte.

erschienen in: Der Tagesspiegel, 18. Mai 2010

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Das Leben junger Flüchtlinge in Berlin

von Hadija Haruna

Hamid ist 16 Jahre alt, als er damals ankommt in der Fremde. Aus seiner Heimat Afghanistan hat er nicht viel mitgebracht. Er ist allein unterwegs. Wenn Hamid jetzt von seinem Leben erzählt, klingt es nach zu viel Erfahrung für einen 26-Jährigen. Nach seiner Ankunft lebt er zehn Jahre als Asylbewerber in Berlin, bevor er im vergangenen Jahr eine Duldung erhält und immer wieder kurz vor der Abschiedung steht. “In der Hoffnung, dass alles besser wird, wurde alles schlimmer”, sagt er. Wo seine Eltern heute leben? Hamid weiß es nicht.

Hamid war ein so genannter minderjähriger unbegleiteter Flüchtling. In Berlin stammen sie hauptsächlich aus Vietnam, Afghanistan, Irak, Guinea und Äthiopien. Sie erhalten eine Duldung, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wird, sie aber nicht abgeschoben werden können, weil sie beispielsweise keinen Pass besitzen oder die Behörden die Situation in ihrer Heimat offiziell weder als gefährlich noch als ungefährlich einstufen können. Im Fachjargon bedeutet geduldet zu sein, dass der Aufenthalt in Deutschland unrechtmäßig ist, aber die Abschiebung ausgesetzt wird. Für wie lange, bleibt ungewiss.

Genehmigungen der Ausländerbehörde

Wie fühlt es sich an, wenn das Zuhause niemals ein wirkliches Zuhause ist? Geschichten darüber erzählen auch Hamids Freunde: Khaled, Yousef, Marina, Violetta und Mohammed. Sie sind Teil der 18-köpfigen Berliner Gruppe Jugendliche ohne Grenzen (JOG), einer bundesweiten Initiative junger Flüchtlinge, die zum Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge (BBZ) gehört. Um sich zu organisieren, vernetzen sie sich über das Internet. Denn sich im realen Leben zu treffen, ist schwierig, weil sie der so genannten Residenzpflicht unterliegen. Das heißt, dass sie ohne eine Genehmigung der Ausländerbehörde den ihnen zugewiesenen Landkreis nicht verlassen dürfen. Bei einem Verstoß machen sie sich strafbar. “Das ist wie ein Gefängnis im Kopf”, sagt Hamid und seine Freunde nicken zustimmend.

Ihr Leben ist eines voller Sonderregelungen und Geheimnisse: “Während Freunde Klassenfahrten, Praktika oder Auslandssemester erleben, sitzt du zu Hause rum”, sagt Mohammed. Was viele nicht wissen: Geduldete dürfen nur in Ausnahmefällen arbeiten und keine Ausbildung machen, egal wie gut ihre schulischen Leistungen sind. Sie haben keine Schulpflicht, sondern nur ein Schulrecht, das bis zur 9. Klasse gilt. Und ob sie im Anschluss eine weiterführende Schule besuchen dürfen, habe viel mit Glück und kulanten Schulleitern zu tun, sagt Yousef: “Du versuchst nicht zum Außenseiter zu werden und erfindest Geschichten, um nicht aufzufallen – bis du auffliegst.”

Yousef und seine Familie sind so genannte Kettengeduldete. Sie gehören zu den zwei Drittel aller bundesweit 86.000 Geduldeten, die länger als sechs Jahre in Deutschland leben. Flüchtlingsorganisationen schätzen, dass etwa neun Prozent von ihnen minderjährige Flüchtlinge sind. Yousef lebt zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester in einem kleinen Zimmer in einem Asylbewerberheim. Seit acht Jahren statten sie mal wöchentlich, mal monatlich der Ausländerbehörde einen Besuch ab, um ihre Duldung zu verlängern – immer mit der Angst, dass sie den Stempel dafür nicht erhalten und in den Libanon abgeschoben werden. Seit seinem Realschulabschluss habe Yousef drei Zusagen für einen Ausbildungsplatz zum Restaurant- und Hotelfachmann bekommen. Dreimal habe es “Nein” bei der Ausländerbehörde geheißen. Letztes Jahr sei ihm zumindest ein Kurs zur Pflegeassistenz bewilligt worden, sagt der 21-Jährige. “Als Geduldeter nimmst du, was du kriegen kannst.”

“Wir sind gekommen, um zu bleiben – und gehen nicht mehr weg!”, lautet einer der Leitsprüche der Jugendlichen ohne Grenzen. Gemeinsam mit Gewerkschaften, Flüchtlingsverbänden und Nichtregierungsorganisationen kämpfen sie für ein dauerhaftes Bleiberecht und die vollständige Anerkennung der Kinderrechte der Vereinten Nationen. Denn in Deutschland gelten junge Geduldete beispielsweise schon mit 16 Jahren als erwachsen und damit “verfahrensfähig”.

Das macht dich fertig

Im März hat der Bundestag eine neue Bleiberechtsregelung für jugendliche Geduldete beschlossen: Wer vor Ende seines 14. Lebensjahres eingereist ist, seinen Antrag zwischen 15 und 21 Jahren stellt und mehrere Integrationsvoraussetzungen erfüllt, kann eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Der zu zahlende Preis: die Trennung von den Eltern und Geschwistern, wenn diese die Anforderungen nicht erfüllen. “Es ist paradox von Menschen zu verlangen, dass sie erfolgreich eine Schule besuchen sollen, wenn sie kein Recht auf Bildung haben, dass sie arbeiten sollen, wenn sie Arbeitsverboten unterliegen, straffrei zu sein, wenn ihre Bewegungsfreiheit sanktioniert wird, und sich zu integrieren, wenn sie von der Gesellschaft ausgeschlossen und in Lagern untergebracht werden”, sagt Mohammed.

Er und Khaled (23) haben vor einem Jahr ihr Bleiberecht erhalten – vor ihren Eltern. Mohammed (23) kam vor zwölf Jahren aus dem Libanon. Khaled flüchtete mit seinen Eltern vor elf Jahren aus Syrien. Auch für Hamid hat das Leben in der Ungewissheit ein Ende. Vor sechs Monaten erhielt er eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung. Nur bei Yousef und seiner Familie steht das Urteil noch aus – in ein paar Monaten entscheidet die Härtefallkommission über ihren Fall.

Auf dieses Urteil haben Marina und ihre Familie zwanzig Jahre gewartet. Ihre Mutter war mit ihr und den Geschwistern als Zweijährige aus Serbien nach Deutschland geflohen. Nach dem Realschulabschluss habe sie drei Jahre zu Hause gesessen, sich gelangweilt und gewartet. “Das macht dich fertig. Demokratie herrscht eben nicht für Geduldete”, sagt Marina. Deshalb sei auch das Gefühl so wichtig, mit diesen Problemen nicht alleine zu sein. In der Gruppe würden alle das Gefühl der Ausgrenzung kennen – das Leben mit der Angst und Geschichten von Freunden, die abgeschoben und nicht mehr wiedergekommen seien, sagt Violetta. “Dabei ist Deutschland für die meisten von uns die einzige Heimat, die wir kennen.”

Das Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge, zu dem die Initiative Jugendliche ohne Grenzen gehört

Hadija Haruna studierte Politikwissenschaften in Frankfurt. Als Redakteurin arbeitet sie für die junge Welle des Hessischen Rundfunks (you fm) und als freie Autorin unter anderem für den Tagesspiegel, das Fluter Magazin und die ZEIT. Auf ihrer Homepage hadija-haruna.de veröffentlicht die Deutsch-Ghanaherin regelmäßig ihre Texte.

erschienen auf: www.fluter.de, 23. Mai 2011

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