Theater und Rassismus
von Hadija Haruna
Ein schwarz geschminkter Weißer spielt in der “Rappaport”-Inszenierung am Berliner Schlossparktheater einen alten schwarzen Mann. Das hat einen Eklat ausgelöst. Ein Blick auf die lange Geschichte des Rassismus auf der Bühne.
Sie bemalten sich mit Schminke aus Ruß oder Schuhcreme, betonten ihre Lippen rot und dick, schmückten sich mit Wollperücken und tanzten debil. „Blackfacing“ nannte sich die rassistische Schauspieltradition in Amerika, bei dem in sogenannten „Minstrel Shows“ ab etwa 1830 bemalte Weiße das Klischee vom ewig fröhlichen Schwarzen verkörperten. Einen Eklat löste jetzt das Berliner Schlossparktheater aus, wo am Wochenende das Stück „Ich bin nicht Rappaport“ von Herb Gardner seine Premiere feierte. In den Hauptrollen: Dieter Hallervorden und Joachim Bliese. Bliese spielt die Rolle des schwarzen Midge mit viel schwarzer Schminke im Gesicht.
Auf Blogs und den Facebook-Seiten des Theaters sowie der Website „Schluss mit rassistischen Blackface-Aufführungen“ wird diskutiert, seitdem das Theater ein Foto mit Hallervorden und dem bemalten Schauspieler im Netz postete und in Berlin plakatieren ließ. Dabei ist das Stück ein Plädoyer für Freundschaft und gegen Rassismus – verkörpert durch die alten Freunde Midge und Nat, die sich regelmäßig im New Yorker Central Park treffen und über ihr Leben sinnieren.
Die Besetzung weißer, schwarz bemalter Schauspieler folge „einer langen Theatertradition im deutschsprachigen Raum, die nicht rassistisch ist“, heißt es in einem Antwortschreiben der Theaterleitung und des Regisseurs Thomas Schendel auf einen Beschwerdebrief. Doch kann das, was nicht rassistisch gemeint ist, trotzdem rassistisch sein? Und: Ist das, was früher als rassistisch galt, auch heute noch so? „Eine lange Tradition schließt Rassismus nicht aus, im Gegenteil, oft sind es diese Traditionen, die ihn weitertragen“, sagt die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Peggy Piesche. Sie lehrt am Hamilton College in New York und forschte unter anderem zu Blackfacing im deutschen Kulturraum.
Erst kürzlich verbot der US-Dramatiker Bruce Norris die Aufführung seines mit dem Pulitzer-Preis gekrönten Stückes „Clybourne Park“ am Deutschen Theater in Berlin. Das Stück thematisiert die rassistischen Konflikte im Amerika des Jahres 1959 und stellt sie dem Jahr 2009 gegenüber. Norris gab zur Begründung an, dass ihm die Besetzung schwarz bemalter weißer Schauspieler nicht passe, und forderte die Besetzung mit zwei schwarzen Schauspielern. Für das Stück war nur ein schwarzer Schauspieler vorgesehen, die Rolle einer schwarzen Frau sollte mit einer weißen Schauspielerin aus dem Ensemble besetzt werden. Man habe in Deutschland ein Theaterverständnis, das freier sei als in Amerika, sagte die stellvertretende Intendantin Sonja Anders in einem Radiointerview. Die für den 22. Januar vorgesehene Premiere wurde abgesagt. Bereits seit September läuft im Deutschen Theater Dea Lohers Stück „Unschuld“. Es handelt von zwei Migranten ohne Aufenthaltsstatus in einer europäischen Hafenstadt. Gespielt werden sie von zwei weißen Schauspielern, schwarz bemalt und mit dicken roten Lippen.
„Wo ist 2012 das Problem, das es bis 2010 nicht war?“, fragt der Leiter des Schlossparktheaters Dieter Hallervorden in einer schriftlichen Stellungnahme. Seit der Erstaufführung sei das Stück an etwa vierzig deutschen Theatern gespielt worden, nur in zwei Inszenierungen wurde Midge von Schwarzen gespielt. Für die Besetzung des 80-jährigen Midge, so Hallervorden, sei kein geeigneter schwarzer Schauspieler gefunden worden. „Schweren Herzens“ nehme er zur Kenntnis, dass sich, ohne dass dies je Absicht des Theaters gewesen sei, Menschen verletzt fühlen. „Wir werden auf deren Gefühle Rücksicht nehmen, indem wir uns Gedanken über eine andere Form der Werbung machen.“
„Durch das Schwarzschminken wird unfreiwillig gezeigt, dass die Hautfarbe und die damit verbundene Rassismuserfahrung für die Authentizität dieser Rolle wichtig ist. Doch diese Erfahrung kann nur nachvollziehen, wer selbst schwarz ist“, sagt die Schauspielerin Lara-Sophia Milagro. Sie ist die Gründerin von „Label Noir“, einem Zusammenschluss schwarzer Schauspieler in Deutschland.
In den USA gilt Blackface bis heute als Symbol für das Trauma des Rassismus und der Sklaverei. Spike Lee hat das Thema im Jahr 2000 in seinem Film „Bamboozled“ satirisch zugespitzt, der von einer Minstrel-Show im Fernsehen handelte: Hier schminken sich Schwarze als Schwarze. Doch die rassistische Maskerade ist kein rein amerikanisches Stilmittel. In der britischen und französischen Kultur gilt sie als Ausdruck des Rassismus in der Kolonialzeit. „Auch in Deutschland ist Blackfacing einer eigenen Tradition gefolgt, die rassistische Hintergründe hatte“, sagt Kulturwissenschaftlerin Piesche. Karikierende oder stereotypisierende Darstellungen von Afrikanern gehören beispielsweise zur frühneuzeitlichen Karnevalstradition. Für Aufregung sorgte zuletzt Günter Wallraff, der sich 2009 für seinen Film „Schwarz auf Weiß“ in einen Afrikaner verwandelte.
„Die Geschichte des Rassismus wird fortgesetzt, wenn man weiße Schauspieler schwarz schminkt – auch wenn sie den Charakter nicht ausdrücklich minderwertig darstellen“, sagt Milagro. Anders als in England oder Amerika ist es in Deutschland für schwarze Schauspieler bis heute schwer, im Theater Fuß zu fassen. Während in England ein schwarzer Macbeth heute zum Theateralltag gehört und viele schwarze Schauspieler in Ensembles beschäftigt werden, sind sie in Deutschland weiter auf wenige Rollen festgelegt.
„Noch immer glauben viele Regisseure, dass das Publikum einen dunklen Hamlet nicht verkraften würde“, sagt der Schauspieler Daniel White. Der deutsch-amerikanische Schauspieler trat jahrelang in Spielfilmen oder Serien wie „Ein Fall für Zwei“ oder „Unser Charly“ in Klischeerollen des schlecht deutsch sprechenden US-Soldaten oder Afrikaners auf. „Es gibt Hunderte von Stücken, bei der die Hautfarbe völlig irrelevant wäre“, sagt er. Die Frage, warum schwarze Schauspieler im deutschen Theaterbetrieb kaum vorkommen, thematisiert der Themenschwerpunkt „Weiße Männer“ der Berliner Off-Bühne „Theaterdiscounter“. Ab dem 12. Januar geht es da um Rassismus im Theater. Ganz ohne schwarze Schminke.
Hadija Haruna studierte Politikwissenschaften in Frankfurt. Als Redakteurin arbeitet sie für die junge Welle des Hessischen Rundfunks (you fm) und als freie Autorin unter anderem für den Tagesspiegel, das Fluter Magazin und die ZEIT. Auf ihrer Homepage hadija-haruna.de veröffentlicht die Deutsch-Ghanaherin regelmäßig ihre Texte.
erschienen in: Der Tagesspiegel, 10. Januar 2012
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