Am Rande des 5. Europäischen Monats der Fotografie
von Josephine Landertinger Forero
Es klingt wie eine Geschichte aus Hollywood, doch passiert ist sie im unscheinbaren Berliner Kiez an der Spichernstraße in Berlin Wilmersdorf. Ein junger Mann trägt eine große Kunstmappe mit Arbeitsproben, da er sich gerade an einer Fotoschule beworben hat. Auf dem Weg zurück nach Hause macht er, Nicolas Balcazar, Halt an einem kleinen Restaurant, um seinen Mittagshunger zu stillen. Dort fragt ihn ein älterer Herr, ob er mal den Inhalt der Kunstmappe beäugen dürfe
Nichtsahnend zeigt der 27-Jährige dem älteren seine Schätze – doppelbelichtete schwarz-weiße Porträtfotos mit Naturmotiven. Prompt begeistert sich der Herr – zufällig Inhaber einer Galerie in Berlin Mitte. Später entpuppt sich der Galeriebesitzer als Geschäftsführer eines Vereins an der Chausseestraße, dessen Räumlichkeiten gerade leer stehen.
Nur wenige Wochen später fand in eben diesen Räumen die Vernissage zu „Sehnsucht“ statt, der ersten Ausstellung des jungen Shooting-Stars der Berliner Fotoszene. Doch so hollywoodesk lief dann doch nicht alles. Statt glamouröser Mitte-Galerie befanden sich die Gäste mitten in den Büroräumen des Vereins. „Die Projekte, die hier stattfinden, haben kurzfristig doch noch eine Förderung bekommen. So konnten wir weder Tische noch Computer wegräumen“, erklärt Balcazar. „Aber deswegen wollte ich nicht meine erste Ausstellung absagen.“ Denn gerade läuft parallel auch der fünfte europäische Monat der Fotografie in sieben verschiedenen Städten, darunter auch Berlin. Da bietet es sich an, die Aufmerksamkeit der rund 500.000 Besucher des Fotofestivals auszunutzen. Mehr als 100 Berliner Institutionen wie Kulturinstitute, Galerien, Fotoschulen oder Projekträume stellen zum Thema „Der Blick des Anderen“ aus
Das passt genau zu Balcazar. „Als ich 2004 von Peru nach Deutschland gezogen bin, kaufte ich eine kleine Digitalkamera und wollte damit meine Reise festhalten. Ich fotografierte immer mehr und schnell merkte ich, dass ich dahin schaue, wo nicht jeder hinguckt.“
Als Halb-Peruaner, Halb-Deutscher, in Berlin geboren, in Lima aufgewachsen, ist Multikulturalität Balcazars Lebensmotto. „Grenzen sind vom Menschen gemacht und gehen gegen unseren natürlichen Instinkt die Welt erkunden zu wollen. Ich hoffe, dass es eines Tages möglich sein wird, grenzenlos und ohne komplizierte Visa-Regelungen zu reisen”, sagt Nicolas. Reisen ist seine Leidenschaft. Er hat nicht nur Lima und Berlin, sondern auch Lissabon, Lyon, Mailand, Pristina, Shanghai, Kuala Lumpur und viele andere Städte fotografisch festgehalten – mittlerweile mit professionellem Equipment. „Reisen bereichert. Ich bekomme auf meinen Reisen so viel zurück: Erfahrungen, Menschlichkeit, unvergessliche Momente. Meine erste Reise machten meine Eltern mit mir, als ich ein Jahr alt war. Reisen ist für mich kein Aufwand, es ist wie in die U-Bahn steigen. Ich bin damit aufgewachsen“, erzählt Balcazar.
Balcazar weiß, dass er privilegiert ist. Dass etwa Kubaner ihr eigenes Land in der Regel nicht verlassen können, ist für ihn ein unerträglicher Gedanke. “Es ist traurig, dass unsere Gesellschaft zweigeteilt ist. Es gibt Menschen, die fast überall hin reisen können und solche, die es nicht dürfen. Das hat meistens damit zu tun, wie wohlhabend ihr Herkunftsland ist. Das ist unfair. Ich habe das Glück, einen deutschen Pass zu haben. Als ich mit einigen befreundeten Fotografen in den Kosovo und seine Nachbarländer gereist bin, kam ein peruanischer Kollege schließlich doch nicht mit. Die ganze Visa-Bürokratie wäre für ihn so aufwendig gewesen, dass er die Reise aufgegeben hat. Das ist einfach nicht richtig.
An den Reiseorten sind es vor allem die Menschen, die Balcazar interessieren. Die fotografiert er gerne in schwarz-weiß, denn Farbe würde hier nur ablenken. „Zu jeder Person habe ich einen bestimmten Bezug und genau diese Beziehung herauszukitzeln und mit der Kamera festzuhalten ist das, was mir gefällt. Außerdem sind diese Menschen alle so hübsch; die muss ich fotografieren“, erklärt der junge Fotograf und lacht.
Dass bei seiner Lebensgeschichte die erste Ausstellung „Sehnsucht“ heißt, leuchtet ein. „Dieses Wort bedeutet, irgendeinen Ort oder irgendein Gefühl erreichen zu wollen und es nicht zu können. Es sind ferne Länder, Emotionen. Man hat tief in sich drin etwas, das man nicht ausdrücken oder ausleben kann. Sehnsucht ist nicht greifbar und das spiegeln meine Bilder wider“.
Die Besucher waren von der Ausstellung begeistert. Insgesamt wurden 17 Fotos auf der Vernissage verkauft. Ein Kunstsammler fand einige Bilder so toll, dass er gleich zwölf in limitierter Auflage bestellt hat. Nicht schlecht für eine Erstausstellung. „Du wirst berühmt“, freute sich seine Mutter und umarmte Balcazar.
Da kam also doch noch ein Happy End à la Hollywood.
Die Ausstellung läuft bis zum 29. Dezember 2012. Öffnungszeiten: Montags bis Freitags von 9.00 bis 13.00 Uhr. Ort: Galerie AFB, Chausseestraße 50B, U6 Schwartzkopffstraße, Berlin Mitte.
Offizielles Programm zum 5. Europäischen Monat der Fotografie
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