Media4Us > Über Media4Us > MITMACHEN!
Nov 202012
 

von Mimoza Troni

Jugendgewalt: Politik machtlos? lautet das Thema von Peter Hahnes gleichnamiger Show im ZDF. Die Anmoderation führt direkt ins Thema: “Geht es Ihnen auch so wie mir, dass Sie erschüttert sind …”, fragt Hahne und will auf die Brutalität der Jugend hinaus. Erschütternd ist aber vielmehr, wie diese Sendung verläuft.. Eine TV-Kritik.

Der Link zur Sendung: Jugendgewalt: Politik machtlos?

Um über Jugendgewalt zu diskutieren, hat Hahne zwei Gäste eingeladen: Cem Özdemir, den Bundesparteivorsitzenden der Grünen und Heinz Buschkowsky, Bezirksbürgermeister des Berliner Bezirks Neukölln. Als aktuelles Beispiel nennt Peter Hahne den Übergriff auf einen 20-jährigen Berliner, der auf dem Alexanderplatz von Jugendlichen brutal zusammengeschlagen wurde und seinen Verletzungen erlag. Der mutmaßliche Täter hat sich in die Türkei abgesetzt, die Polizei bemüht sich zur Zeit um seine Auslieferung nach Deutschland.

Beitrag aus dem Internationalen Fotowettbewerb © media4us / foto: Fabien Raclet

Die Macht der Einstiegsfrage

Als Peter Hahne Cem Özdemir vorstellt, fragt er, ob sich Özdemir als türkischer Schwabe oder schwäbischer Türke fühle. Warum er diese Frage als Einstieg wählt, bleibt unklar: Will Hahne lediglich mit etwas Zwischenmenschlichem beginnen? Verweist er auf Özdemirs türkische Wurzeln, um dem mutmaßlichen Täter einen guten Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund gegenüberzustellen? Oder soll durch diese Information gar eine Gemeinsamkeit mit dem brutalen Schläger aufgezeigt werden? Ist die Frage einfach nicht durchdacht oder verfolgt Hahne doch ein Ziel? Nämlich den Anschein zu erwecken, dass Cem Özdemir aufgrund seines Hintergrunds den mutmaßlichen Täter milder verurteilen würde?

Zwischen Macho- und Vorurteilskultur

Hahnes nächste Frage ist nicht gerade professioneller. Er fragt, ob „diese Form der Gewalt“ etwas mit der „türkischen Machokultur“ zu tun hat. Obwohl am Ende dieses Satzes ein Fragezeichen steht, zieht der Moderator damit eine Verbindung von Gewalt zum türkischen Hintergrund. Wenn wir heutzutage über objektive Berichterstattung und kritischen Journalismus reden, dann meinen wir sicherlich nicht die Einengung des Themas auf Phänomene, die auf Klischees und Vorurteilen basieren. Nein, es geht darum, nach Ursachen zu suchen und dabei möglichst viele Optionen in Erwägung zu ziehen. Mit dieser Form des Journalismus sinkt das ZDF auf Bild-Niveau.

Auch wenn Buschkowsky für seine Verhältnisse relativ moderat auf diese Frage antwortet, schließt er nicht aus, dass die Erziehung des Täters „zum überlegenden Wesen gegenüber anderen“ der Auslöser gewesen sein könnte. Özdemir hingegen zeigt an einem anschaulichen Beispiel, dass eine Machokultur sich in „verschiedenen Herkunftssprachen“ wiederfindet. Er erinnert daran, dass dieser Tag, an dem diese Diskussion stattfindet, auch der erste Jahrestag war, seitdem die NSU-Morde bekannt wurden, bei denen neun Männer mit Migrationshintergrund  von Neonazis ermordet wurden. Außerdem verweist Özdemir auf das Landeskriminalamt Baden-Württembergs, das völlig falsch lag mit der Annahme, die Mörder könnten keine Deutsche sein, da es für Deutsche unüblich sei zu töten. Während Özdemir spricht, ist die Kamera immer wieder auf Buschkowsky gerichtet: Sein Blick ist streng, er runzelt die Stirn und zuckt leicht mit dem Kopf nach hinten. Wer Heinz Buschkowsky kennt, weiß, warum. Seine These ist eine andere.

Glaubt man dem SPD-Mann, hat eine hohe Bereitschaft zur Kriminalität mit dem muslimischen Hintergrund zu tun, so schildert er es u. a. in seinem aktuellen Buch „Neukölln ist überall“. Ein Vorurteil, das sich in unserer Gesellschaft immer stärker verfestigt hat und den nächsten Teil der Diskussion bestimmt. In einem kurzen Einspieler wird betont, dass junge Männer mit Migrationshintergrund „besonders auffällig“ seien. Buschkowsky stützt diese Aussage, indem er Zahlen aus Neukölln nennt. Demnach würden nur 16 Prozent der Schüler, die sich als stark religiös einschätzen, ein Gymnasium besuchen, während 40 Prozent der moderaten Muslime das Abitur machen. Ob diese Statistiken richtig interpretiert sind, lässt sich bezweifeln. Immerhin sagt ein Vertreter der Polizeigewerkschaft zu Beginn des Beitrags, der Alkohol- und Drogenkonsum sei zu 70 Prozent für derartige Angriffe verantwortlich. Auch er beruft sich auf Statistiken, auf die wird im weiteren Verlauf der Debatte allerdings nicht weiter eingegangen. Wer sagt, dass eine Kombination dieser zwei hier genannten Ursachen möglich ist, der irrt, denn man darf bezweifeln, dass ein frommer Muslim zu Alkohol und Drogen greifen würde.

Sicherheit durch Vorbilder

Im Gegenteil, die Einbindung des Umfelds ist ein wichtiges Instrument, um Straftäter von ihrer falschen Bahn abzubringen, meint Özdemir. Dazu gehören auch Imame, denn das Problem sei nicht, dass Straftäter strenggläubige Muslime sind, sondern nur annehmen, sie seien welche. In solchen Fällen könnte der Imam positiv zureden und Jugendlichen erklären, dass sie sich zu „Unrecht auf den Islam“ berufen, so Özdemir.

Bei der Frage nach Sicherheit beruft sich Peter Hahne auf die Gewerkschaft der Polizei, die den mangelnden Nachwuchs beklagt. Das sei sicherlich ein „massives Problem“, stimmt Özdemir zu. Es würde jedoch helfen, wenn es mehr Polizisten mit Migrationshintergrund gäbe. Diese Leute brauchen wir in allen Bereichen der Gesellschaft“. Wenn Kinder ihre Erzieher und Lehrer mit Migrationshintergrund erleben, könnten sie typischen Geschlechterrollen, die sie von zu Hause kennen, infrage stellen.

In einem sind sich Buschkowsky und Özdemir einig: Auf öffentlichen Plätzen müsste die Polizei stärker präsent sein. „Dass auf dem Alexanderplatz am Wochenende die Post abgeht, das ist nun wirklich nicht neu“, ergänzt Buschkowsky und fragt: „Warum ist nachts keine Polizei auf dem Platz?“ Buschkowsky kritisiert, dass die Zahl der Polizeibeamten geschrumpft ist und die Zahl der Sicherheitskräfte nicht der Sicherheitslage angepasst wurde.

Viele Migranten sprechen die deutsche Sprache nicht?

Peter Hahne fährt mit seiner Strategie, Vorurteile zu bedienen, fort und erwidert, Bildung scheitere daran, dass „ja viele Migranten die deutsche Sprache nicht sprechen“, türkisches oder arabisches Fernsehen schauen und den Anschluss an das gesellschaftliche Miteinander nicht finden. Es ist erschreckend zu sehen, dass ein mehrfach ausgezeichneter Moderator im bundesweiten Fernsehen so argumentiert. Daher die Detailfrage: Sehr geehrter Herr Hahne, was heißt „viele Migranten“? Auf welcher Grundlage basiert diese Einschätzung? Und wieso vermittelt sie den Eindruck, dass die Mehrheit – das steckt nämlich in dem kleinen Wörtchen „viel“ drin – kein deutsch spricht? Die Mehrheit spricht Deutsch, nur darüber sprechen Sie und viele andere nicht. Es wird immer über die Minderheit, die wenig deutsch spricht, geredet und damit die Chance vertan, wertzuschätzen, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund sehr wohl die deutsche Sprache fehlerfrei beherrschen und sich in die deutsche Gesellschaft integriert haben – obwohl sie jedes dieser Vorurteile über sich ergehen lassen und sich immer wieder behaupten müssen.

Diesen beispielhaften Migranten müsse man den Karriereweg in die Institutionen – Polizei, Kitas, Schulen etc. – ermöglichen, wiederholt Özdemir. Dadurch würden die Institutionen an Glaubhaftigkeit gewinnen und das Klischee vom guten deutschen Polizisten und bösen ausländischen Kriminellen aufgebrochen. Wieder ein leichtes Kopfschütteln Buschkowskys.

Und die Moral von der Geschicht‘…

… einige wollen, einige nicht. Dies soll keineswegs eine Lobeshymne auf Cem Özdemir sein. Dennoch hat er durchgängig versucht zu zeigen, was Politik leisten kann: Probleme erkennen und auf die tatsächliche Ursache zurückführen, nämlich Bildung. Es sind nicht Ethnie oder Religion, die Kinder und Jugendliche vom zivilisierten Miteinander abhalten, sondern die unzureichende Betreuungsmodelle, wie die fehlenden Kitaplätze. Während er diesen Standpunkt immer wieder zu begründen versuchte, boten Peter Hahnes unangemessen formulierte Fragen Buschkowsky eine breite Plattform. Mit diesem Angebot steht Hahne übrigens nicht allein da. Viele seiner Polit-Talk-Kollegen haben Buschkowsky wiederholt Raum geboten, um sich zu profilieren und sein Buch zu vermarkten. Nicht Neukölln, sondern Buschkowsky ist überall. Leider.

Sorry, the comment form is closed at this time.