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Nov 202012
 

von Esther Donkor

Ein vermeintlich „hautfarbener“ Büstenhalter hat mich zum Nachdenken gebracht.

Diese BHs werden nicht als hautfarben, sondern weiß verkauft // © Peter Kühn / pixelio.de

Ich erinnere mich noch genau an meine Teeniezeit und an den Mode-Tipp einer Schulfreundin – hatte er bei mir doch für große Verwirrung gesorgt. „Du musst einen hautfarbenen BH unter das weiße T-Shirt ziehen, dann sieht man nichts durch.“ Hautfarbe!? Klar, ich wusste, was gemeint war. Nur konnte ich diesen Mix aus beige und rosa nun wirklich nicht mit dem tatsächlichen Farbton meiner Haut zusammenbringen. Auch das eher blasse Gesicht meiner Freundin kam dem Ton ihres neu erworbenen Büstenhalters übrigens nicht ansatzweise nahe. Darum fragte ich sie: „Warum heißt das eigentlich Hautfarbe? Unsere Haut sieht doch ganz anders aus.“ Zuerst konnte ich Ratlosigkeit in ihrem Blick erkennen, die jedoch bald in Mitleid umschlug. Fast tröstend antwortete sie mir: „Ach, mach dir doch nichts draus. Du bist halt eine andere Rasse.“

Damit war das Thema erst einmal für viele Jahre abgehakt – bis ich älter wurde und lernte, dass es „Rassen“ beim Menschen eigentlich gar nicht gibt. Sie sind nur eine der vielen Erfindungen, die gemacht wurden, um Dinge in Schubladen zu stecken. Der Ursprung dieser Kategorisierungen liegt im 17. Jahrhundert. Damals entwickelte man in Europa die ersten modernen Rassentheorien und begann, die Menschen in verschiedene Kategorien einzuteilen. Dabei wurden äußere Merkmale wie Haut- und Augenfarbe, Haarstruktur und Schädelform analysiert und miteinander verglichen. Auf dieser Basis wurden Wesenszuschreibungen vorgenommen und Charaktereigenschaften definiert. Auch der Begriff „Neger“ (Ableitung Spanisch: negro, Französisch: nègre, Latein: niger für schwarz) wurde im 17. Jahrhundert in Deutschland eingeführt, um Menschen mit dunkler Hautfarbe eine Bezeichnung zu geben – der Begriff war jedoch schon damals negativ konnotiert. Man ging davon aus, dass Menschen mit dunkler weniger intelligent seien als solche mit heller Hautfarbe und setzte sie auf eine Stufe mit Kindern und wilden Tieren.

Der Wissenschaftler Pieter Camper (1722-1789) erfand den Camperschen Gesichtswinkel, um abzumessen, wie weit der Kiefer eines Menschen nach vorne ragt. Außerdem stellte er eine Art Rassen-Hierarchie auf, angefangen vom Tier über den Afrikaner bis hin zum Europäer an der Spitze. Der Philosoph Christoph Meiners (1747-1810) philosophierte über den Zusammenhang zwischen körperlichen und geistigen Zügen und ging so weit zu behaupten, die Europäischen Völker seien allen anderen Völkern überlegen. Und dann war da noch ein anderer Philosoph, von dem ich bereits in der Schule gehört hatte – allerdings nie in diesem erschreckenden Zusammenhang….

Zur selben Zeit, als mir meine Schulkameradin eröffnete, dass ich einer anderen Rasse angehöre, stand nämlich auch die deutsche Aufklärung auf dem Lehrplan. Emanzipation, Toleranz, Menschenrechte – für dies und vieles mehr sollte dieses revolutionäre Zeitalter einstehen. Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. […] Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. So Immanuel Kants Worte im 18. Jahrhundert. Kant war ein großer und bedeutender Philosoph, der sich für die Freiheit des Volkes aussprach und dessen Aufsätze und Schriften am Ende des Schuljahres in einem Test abgefragt wurden. Was im Schulunterricht leider nie erwähnt wurde, war Kants „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrasse“, in der es unter anderem heißt: „Die Neger von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege […] Die Schwarzen sind sehr eitel, aber auf Negerart und so plauderhaft, daß sie mit Prügeln auseinander gejagt werden müssen.“ Galt die Aufklärung folglich also nur bestimmten Menschen? Wurde den Afrikanern der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit mit Prügel verwehrt?

Fakt ist, dass man zur Zeit der Aufklärung versuchte, die Zusammenhänge von Welt und Natur zu verstehen – und dafür Kategorien und Ordnungssysteme benötigte. Diese Kategorisierungen allerdings waren von Polygenismus geprägt – das heißt, man ging davon aus, dass menschliche Rassen getrennt voneinander entstehen und mit unterschiedlichen Eigenschaften behaftet sind. Die Afrikaner hatten unter diesem Weltbild schlechte Karten: Sie wurden als Untermenschen mit vormenschlichen, unterentwickelten Zügen angesehen. Vor allem die europäische Politik und Wissenschaft arbeiteten in dieser Hinsicht zusammen – Polygenismus war eine gute Legitimation für Rassismus und Sklaverei.

Erst seit einigen Jahren weiß ich, dass ich keiner „anderen Rasse“ angehöre. Meine Haut ist dunkler, da meine Vorfahren väterlicherseits aus Ghana kommen. Einfach erklärt, scheint in Afrika die Sonne einfach öfter als beispielsweise in Island. Und an die Sonne hat sich die Haut der Menschen im Laufe der Jahrhunderte angepasst. Dunkle Haut = höherer Schutz vor schädlichen UV-Strahlen. Auch wenn ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin: Der Grundton meiner Haut wurde mir vererbt. Da es eine Vielzahl von verschiedenen Hautfarben gibt, bin ich mittlerweile der Meinung, dass es nur zu Verwirrung führen kann, einen einzigen Farbton, beispielsweise den für einen Büstenhalter, als „hautfarben“ zu betiteln. In Gegensatz zu meiner Teeniezeit weiß ich heute wenigstens ansatzweise, was damit gemeint ist.

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