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Feb 122013
 

Ein traditioneller Volkstanz aus Anatolien ist lebendiger denn je

von Ibrahim Kizilgöz

Am 30. Oktober 1961 wurde das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei unterzeichnet. Das erste rechtlich verbindliche Schriftstück, in der die Anreise von Arbeitskräften aus der Türkei nach Deutschland mit einer maximalen Aufenthaltsdauer von zwei Jahren festgehalten wurde. Doch durch einige Gesetzesänderungen blieben viele Arbeitskräfte und gründeten Familien. Dabei haben sie einiges an kulturellen Traditionen aus ihren Herkunftsorten mitgebracht. Unter anderem den traditionellen Volkstanz aus Südostanatolien – „Halay“.

Fragt man heute einen in Deutschland lebenden Jugendlichen mit türkischem oder kurdischem Migrationshintergrund, wann der nächste Halay stattfindet, kriegt man höchstwahrscheinlich einen konkreten und zeitnahen Termin genannt. Denn Halay wird überall und zu fast jeder Zeit getanzt: auf Hochzeiten, Geburtstagen, Demonstrationen und selbstorganisierten „Halay-Partys“. Die 21-jährige Ezgi A. packt sogar einen drauf: „Ich tanze Halay, wenn mir langweilig ist. Auch auf der Straße, einfach so.“

Vielleicht erklärt sich so, warum Jugendliche „komische“ Kreistänze auf dem Domplatz in Köln, in der Fußgängerzone in München oder an vielen Bahnhöfen tanzen. Einige Jugendliche treffen sich an Wochenenden und unternehmen einen Tripp in die nächste Großstadt, um in der Öffentlichkeit Halay zu tanzen und die kulturellen Schätze ihrer Vorfahren zu präsentieren.

Youtube und Facebook als Plattform

Dabei werden die Tänze mit dem Mobiltelefon aufgenommen, schnellstmöglich auf Youtube hochgeladen und auf Facebook veröffentlicht. Die Verlinkungsfunktion von Facebook sorgt dafür, dass die Videos schnell verbreitet werden. Es folgen Kommentare, unter anderem aus der Heimat, von Verwandten und Bekannten.

Dr. Peter Holzwarth und Prof. Dr. Horst Niesyto, Wissenschaftler im Bereich interkulturelle Medienbildung und -Pädagogik an den Universitäten Zürich und Ludwigsburg, erklären in einem Forschungsbericht zur Mediennutzung junger Migranten, Medienformen wie Facebook förderten die Identifikation mit und den muttersprachlichen Kontakt zur Herkunftskultur. Kulturelle Ausdrucksformen wie der Halay haben in ethnischen Communities die Funktion einer kollektiven, herkunftsbezogenen Selbstvergewisserung.*

Traditionell vs. Modern

Traditionell haben die Halay-Schritte einen kontextuellen Bezug, das heißt sie bilden die Situation der örtlichen Landwirtschaft oder die sozialen Bindungen ab. Mal geht es um die Fruchtbarkeit des Ackerfeldes, mal um die Arbeit auf dem Acker. Aber auch Probleme werden angedeutet. In Diyarbakir (in der Ost-Türkei) gibt es etwa Tanzschritte, die das Zertrampeln von Acker-Schädlingen imitieren. Andere symbolisieren die Beziehung zwischen Mann und Frau.

Die Frage ist, wie Jugendliche mit diesem Wissen umgehen. „Vielen Jugendlichen sind solche Hintergründe fremd. Es wird irgendetwas getanzt. Ein Mix aus Halay und Hip-Hop-Elementen oder, je nach momentaner Gefühlslage, irgendeine Bewegung, die gar keine Bedeutung hat“, meint die 19-jährige Alev O. Das Interesse vieler Jugendlichen mit türkischem/kurdischem Migrationshintergrund an Hip-Hop führt zu interessanten Versuchen, Halay mit modernen Elementen zu verbinden. So sind bereits professionelle Videoclips von Musikbands auf Youtube zu sehen, die genau diesen Ansatz verfolgen. Aber auch selbstgedrehte Amateuraufnahmen findet man im Netz, die von der Produktivität und Kreativität vieler Jugendlicher zeugen.

So viel kulturelles Gut haben die sogenannten „Gastarbeiter“ also mitgebracht. Ein Halay-Hip-Hop-Tanz im Bundestag während einer undifferenzierten Debatte über die zum Scheitern verurteilte „Integration“ wäre wünschenswert und bestimmt sogar amüsant.

*Den Forschungsbericht zum Thema kann man hier abrufen.

 

 

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