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Feb 142013
 

von Betina Hurtic

„Die Stadt Heidelberg hat sich für die Gründung eines Interkulturellen Zentrums entschieden. In der Gründungsphase wird gemeinsam mit vielfältigen Akteuren und Institutionen das Interkulturelle Zentrum aufgebaut. Um den Prozess so offen wie möglich zu gestalten, nennt sich das Interkulturelle Zentrum im ersten Jahr ‚Interkulturelles Zentrum in Gründung‘.“ (Website des IZ i. G.*)

Im Interview mit Betina Hurtic erklärt die Leiterin des IZ i. G., Jagoda Marinic, was das Interkulturelle Zentrum genau macht und vor welchen Herausforderungen es steht.

Jagoda Marinic, Leiterin des Interkulturellen Zentrum i. G. Foto: Cris Beltran © Stadt Heidelberg

Seit 20 Jahren gibt es in Heidelberg Bestrebungen, ein interkulturelles Zentrum zu gründen. Ist das Interkulturelle Zentrum in Gründung eine Einrichtung, wie man es sich vor 20 Jahren gewünscht hat?
Das Interkulturelle Zentrum ist eine Idee, die fast schon Tradition hat in Heidelberg und befindet sich heute endlich in der Phase der Realisierung. Es wird naturgemäß so gegründet, dass es in die heutige Zeit passt, wir arbeiten ja aus dem Gestern heraus für das Heute und Morgen. In den 1980er Jahren, als man Interkulturelle Zentren errichtete, waren das eher klassische Vereinshäuser, in denen die Leute ihre Herkunftskultur gepflegt haben. Wenn man heute solche Häuser konzipiert, geht es mehr um den Austausch und die Begegnung der Kulturen. Ich glaube, es wird in diesem Haus mehr Austausch und Dialog stattfinden, als man vielleicht vor 20 Jahren hätte ahnen können.

Welche Aufgaben und Funktionen übernimmt das Interkulturelle Zentrum i. G. konkret?
Im Moment ist die Hauptaufgabe des Interkulturellen Zentrums i. G. die Gründung des Zentrums an sich. Die sogenannte „kleine Lösung“ befindet sich in einer der ältesten Tabakfabriken Deutschlands und ist die Ideenfabrik für das Konzept, die möglichen Trägermodelle und auch die Überlegungen zu einer möglichen Realisierung im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA). Die kleine Lösung sollte vor allem den Grundbedürfnissen der Vereine Rechnung tragen. Sie brauchen fachliche Beratung und Räume, die sie nutzen können. Viele Migrantenselbstorganisationen wünschen sich aber auch Projekthilfe. Sie wollen z. B. Veranstaltungen für sich und ihre Mitglieder organisieren, aber auch für die ganze Stadtgesellschaft. Sie fragen sich, wie sie die anderen Heidelberger dazu bekommen, ihre Veranstaltungen zu besuchen und wünschen sich an solchen Stellen Rat.

Eine Umfrage des Eine-Welt-Zentrums von 2010 in Heidelberg ergab, dass es nur wenige Kooperationen zwischen Migrantenselbstorganisationen und städtischen Institutionen gibt. Schafft das Interkulturelle Zentrum i. G. auch einen stärkeren Austausch zwischen diesen Ebenen?
Zurzeit machen wir eher punktuell Veranstaltungen. Eine Veranstaltung, bei der wir die Vereine z. B. über Fördermöglichkeiten aufklären, ist für alle anziehend und schafft so den Austausch zwischen den Vereinen. Vor kurzem haben wir den Interkulturellen Kalender präsentiert und verschiedene Kulturakteure und Vereine eingeladen. Plötzlich mischen sich Leute, die sich so vorher nicht begegnet sind. Daneben treten wir als städtische Institution gezielt an andere Institutionen und Einrichtungen heran. Mit dem Theater haben wir eine Kooperation – ich habe also selbst versucht, die Brücke zu den Einrichtungen zu bauen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten.

Warum ist es für das Interkulturelle Zentrum I. G. einfacher, solche Verbindungen herzustellen als für die Vereine selbst?
Für die Vereine ist es teilweise nicht einfach zu durchblicken, welcher Struktur sie da gegenüberstehen, wenn sie z. B. an das Theater herantreten. Das interkulturelle Zentrum kann hier eine Mittlerposition einnehmen: Man kann den Vereinen erklären, was möglich ist und was nicht. Die große Bühne etwa für einen Abend kostenfrei zu bekommen, ist nicht im Rahmen des Möglichen. Es sind natürlich auch schon Vereine ganz ohne ein solches Zentrum an Einrichtungen und Institutionen herangetreten, aber jetzt passiert es eben strukturierter. Indem man eine Institution gründet und professionelles Personal einsetzt, kann man auch ausgeklügelte Arbeit leisten, beispielsweise ein Konzept entwickeln, das aussagt, wie Interkultur in einer Stadt sichtbar wird. Man kann strategischer vorgehen und somit auch zur Öffnung der Institutionen beitragen.

Interkulturelle Öffnung von Institutionen ist in der kommunalen Integrationspolitik ein aktuelles Thema. Welchen Beitrag leistet das Interkulturelle Zentrum i. G. hierbei in der Praxis?
Wenn ich in meiner Funktion als Leiterin des Interkulturellen Zentrums bei städtischen oder regionalen Planungstreffen die Einrichtung repräsentiere, bringe ich allein dadurch den Faktor ‚Interkultur’ in den Raum. Das fordert auch die Anderen am Tisch dazu auf, das Thema zu bedenken und sich konkrete Beteiligungsformen zu überlegen. Man selbst symbolisiert etwas: Man ist eine Einrichtung, die für ein gesellschaftliches Bedürfnis steht. Das ist nochmal etwas anderes, als wenn ein einzelner Verein agiert. Die Besonderheit in diesem Fall ist auch, dass das Interkulturelle Zentrum i. G. von städtischer Hand getragen wird. Damit ist unmittelbar eine Öffnung der Institutionen verbunden. Ich erlebe in der täglichen Arbeit, wie groß die Strahlkraft ist, die davon ausgeht: Es ist nicht eine kleine Gruppe, die das will, sondern die Stadt.

Gab es für euch Vorbilder anhand anderer Interkultureller Zentren?
Wir sehen uns natürlich um, national und international, doch wir wollen es eigentlich anders machen. Uns ist es wichtig, die Chance zu nutzen, in einer Zeit und Gesellschaft zu leben, in der Migration einen gänzlich anderen Stellenwert hat als früher. Es ist nicht mehr so, dass es eine Mehrheitsgesellschaft gibt, die mit Minderheiten umzugehen hat und ihnen Räume bieten muss. Es entwickelt sich allmählich ein Bewusstsein dafür, dass hier eine Gesellschaft entsteht, in der die Mehrheitsgesellschaft divers sein wird. Das ist ein ganz anderer Ausgangspunkt als früher. Wir haben auch nicht die Last der Anfänge, vor 20 Jahren war interkulturelle Arbeit eher am Rand verortet. Fast überall, wo man angeklopft hat, wurde man erst einmal weggeschickt. Jetzt gibt es von der Regierung aus die Vorgabe, dass sich die Institutionen öffnen müssen.

Steht man heute vor offenen Türen?
Man steht vor offenen Türen, aber nicht immer vor offenen Köpfen. Doch dadurch, dass die Türen offen sind, bekommt man eine Chance. Man hat die Möglichkeit zum Gespräch. Und im Gespräch merke ich, dass die meisten Menschen begeisterungsfähig sind, weil interkulturelles Zusammenleben ja längst Realität ist. Diese zu gestalten wird eine der spannendsten und größten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte, dessen sind sich inzwischen fast alle bewusst. Vor 20 Jahren war es abstrakt zu sagen: Bald wird hier jeder Zweite Migrationshintergrund haben. Jetzt erleben die Menschen das. In den Klassenräumen ihrer Kinder und in den Städten. In Heidelberg ist es noch einmal besonders, weil wir nie die Einwanderungsstruktur einer Industriestadt hatten. In Heidelberg stellt die Lebenssituation von Menschen mit Migrationshintergrund einer Umfrage von Sinus Sociovision 2008 zufolge einen „Sonderfall“ in Deutschland dar. Heidelberg ist da eher vergleichbar mit Städten in Kanada. Es war immer sehr privilegiert, mit welcher Thematik Heidelberg konfrontiert war in Sachen Migration.

Welche Fragen stellt man sich in Heidelberg, wenn man das Thema Migration in den Raum stellt?
Der Blick geht über die Ethnien hinaus. Man stellt sich auch die Frage, wie man die verschiedenen Milieus verbindet, z. B. die Wissenschaftler mit der Stadtgesellschaft. Der Wunsch, die akademische Welt mit der nichtakademischen Welt zu verbinden, wurde mehrfach aus verschiedenen Richtungen geäußert. Dann gibt es in der akademischen Welt noch diejenigen, die für zwei bis drei Jahre als Studierende oder Gastwissenschaftler herkommen und schnell untereinander Fuß fassen, schneller als mit jenen, die hier leben. Es geht darum, Räume und Formate zu finden, sie alle miteinander zu vernetzen; auch die befristeten Einwanderer das Land und die Stadt als vollwertige Mitglieder erleben zu lassen und nicht eine Art Erasmus-Enklave zu fördern. Ein weiteres Ziel ist es verschiedene soziale Schichten zusammenzubringen, etwa durch dieses Zentrum. In den meisten anderen Städten hat man oft die Herausforderung, dass die soziale Frage und die Migrationsfrage zusammenfallen – hier eben nicht. Hier steht man vor der Herausforderung, die Menschen, die hier sozial schwächer dastehen, einzubinden in die Entstehung eines solchen Hauses und auch ihnen konzeptionell gerecht zu werden, auch wenn sie in dieser Stadt statistisch eine Minderheit unter den Migranten sind.

Ein Blick in die Zukunft: Derzeit hat das Interkulturelle Zentrum lediglich Räume angemietet. Wie sicher ist die Aussicht auf eigene Räumlichkeiten?
Die „kleine Lösung“ in einer der ältesten Tabakfabriken Deutschlands ist sehr charmant und es hat bereits eine große Strahlkraft, das Projekt von hier aus zu entwickeln und erste Vernetzungen herzustellen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass der politische Wille da ist. Als weitere Besonderheit kommt hinzu: Heidelberg hat für die nächsten zehn Jahre unter dem Motto „Wissen schafft Stadt“ eine Internationale Bauausstellung (IBA) ins Leben gerufen. Es ist ein deutsches Format für Baukultur und Stadtentwicklung mit 100-jähriger Tradition. Die berühmte Weißenhofsiedlung in Stuttgart (1927), eines der Vorbilder der modernen Architektur, ist zum Beispiel in einem IBA-Prozess entstanden. Auch dies ist ein Format, in dem Aspekte des Interkulturellen Zentrums laborartig untersucht und weiterentwickelt werden können. Die ökonomische Stabilität vorausgesetzt – was in der EU gerade nicht selbstverständlich ist – stehen die Sterne so gut wie selten zuvor.

* Das IZ i. G. ist im kommunalen Integrationsplan ein besonderer Baustein. Weitere Infos findet man hier und hier.

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