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Feb 252013
 

von Elena Pupejko *

Ein „gekauftes Diplom aus Russland“ – den Vorwurf hat Nelli S. schon öfters gehört. Sechsjähriges Studium der Zahnmedizin in Perm, drei Jahre Berufserfahrung als Kinder-Zahnärztin in der Klinik in Perm – das alles zählt nur wenig, wenn eine 29-jährige Spätaussiedlerin ihr Glück auf dem deutschen Arbeitsmarkt sucht. Über 100 Bewerbungen im Jahr, um lediglich einen Praktikumsplatz zu finden. „Nicht viele Arbeitgeber möchten eine Praktikantin aus Russland nehmen. Sie denken, dass wir uns Diplome gekauft haben”, sagt Nelli S. empört.

© media4us / foto: Markus Vogel – Beitrag aus dem Fotowettbewerb “Zeig’s uns!“

Nellis Geschichte ist keine Seltenheit. Qualifizierte Spezialisten aus dem Ausland und ein Mangel an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt – sollten sie nicht wie Puzzlestücke schön aneinander passen? Anscheinend nicht. Denn die ausländischen Hochschulabschlüsse finden in Deutschland wenig Anerkennung. Während die Bundesagentur für Arbeit von einem Rekordtief der Arbeitslosenzahlen berichtet, betrifft diese gute Nachricht deutsche Spätaussiedler aus dem Ostblock kaum. Immer noch haben junge Leute riesige Schwierigkeiten einen Job zu finden, selbst wenn sie hochqualifiziert sind. „Verkehrte Welt!” ruft das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus. Laut seiner Studie seien Akademiker mit Hochschulabschluss unter Spätaussiedlern sogar häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als die ohne Berufsausbildung. „Schuld daran dürften u.a. die Probleme beim Transfer ihrer ausländischen Abschlüsse sein”, erklären die Forscher.

Dmitry G. kommt ursprünglich aus russischem Tscheljabinsk. Der 29-Jährige  überlegt, ob er noch mal ins Studium der Betriebswirtschaftslehre an Ludwig-Maximilians-Universität München einsteigt, weil er sich dadurch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhofft. Die Entscheidung fällt aber nicht ohne Qual. Schon ein fünfjähriges Studium des Transport- und Logistikmanagements hinter sich, dazu noch einige Jahre Berufserfahrung als Leiter einer kleinen Firma in der Logistikbranche in seiner Heimatstadt. So begeistert ist er nicht davon, noch mal in die Welt der Vorlesungen, ECTS-Punkten, Abgabetermine für Hausarbeiten und Prüfungen einzusteigen. Darüber hinaus muss er schon für seine Familie sorgen, statt in der Bibliothek zu pauken. Die Lehrer aus dem Ausland haben es besonders schwer, weil von ihrem Studium nur zwei – drei, im besten Fall vier, Semester angerechnet werden.

Die Kinder gehen morgens in die Schule, ihr Papa marschiert zur Uni. In der Ukraine war er Direktor eines christlichen Instituts. „Mir wurde am Anfang erklärt, welche Aussichten ich mit meinem Lehramtsstudium habe”, sagt Vladimir Devakov. Mit 35 hat er wieder ein Lehramtstudium in Englisch und evangelischer Theologie aufgenommen, diesmal in Osnabrück. Mit 40 kann es wieder mit der Arbeit anfangen und an einer deutschen Schule in Bremen unterrichten.

Das neue „Anerkennungsgesetz”, das seit April 2012 in Kraft getreten ist, soll die Anerkennung der im Ausland erworbenen Berufsqualifikationen erleichtern. Es soll die Lücke an qualifizierten Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt ausfüllen und zu besserer beruflicher Integration beitragen. Ob die Maßnahme tatsächlich etwas bewegen wird, bezweifelt Sandra Koch, die seit sieben Jahren Spätaussiedler und Ausländer in Anerkennungs- und Berufsfragen bei der Otto Benecke Stiftung in Nürnberg berät.

Selbst wenn die Hochschulausbildung eine offizielle Anerkennung genießt, hilft es jungen Leuten nur wenig. „Die Arbeitgeber sind generell skeptisch, egal ob der Abschluss anerkannt wird oder nicht”, meint Sandra Koch. Sie könnten ausländische Abschlüsse nicht richtig einschätzen, sogar auch dann nicht, wenn sie formal den deutschen gleichgestellt werden, und wissen nicht, was man an Kenntnissen wirklich mitbringt.

Nellis Chef wusste es auch nicht. Er hat ihr sechs Monate Probezeit angeboten. „Ich habe gezeigt, was ich wirklich kann. Nach einem Monat hat mein Chef mir gesagt, dass ich geeignet bin und hat mich fest angestellt”. Ihre Arbeitskollegen hätten gesehen, dass auch diejenigen, die in Russland studiert haben, professionelle Arbeit leisten können.

Reibungslos sei es aber davor nicht gelaufen. Viele kurze Arbeitsproben, kaum eine Rückmeldung, nicht mal mit einer Absage. Das habe weh getan. „Einmal habe ich einen siebentägigen Praktikumsplatz bekommen. Die anderen Kollegen haben mich von Anfang an nicht akzeptiert, nach zwei Tagen wurde ich entlassen, mit dem Vorschlag, dass ich lieber als Verkäuferin arbeiten solle.”

Manchmal hören Spätaussiedler im Jobcenter diesen Ratschlag: „Sie sollen sich nicht so hoch bewerben.” Ein Ingenieur, Lehrer oder Arzt könne doch auch putzen und in der Küche arbeiten. Hauptsache man verdiene so schnell wie möglich den eigenen Lebensunterhalt. Solche Empfehlungen tragen kaum dazu bei, junge Akademiker zu motivieren.

Nelli S. lässt sich nicht entmutigen. Noch vier Jahre muss sie als Zahnärztin für das Gehalt einer Zahnarzthelferin in einer Praxis in Baden-Württemberg arbeiten. Danach darf sie aber eine Defizitprüfung machen und kann die Approbation erhalten.

*Erstveröffentlichung in: Nürnberger Zeitung

 

 

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