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Feb 262013
 

von Elena Pupejko

„Das Bild habe ich noch immer vor Augen. Alles um mich herum ist so dreckig. Ich muss einen Teller nehmen und um Essen bitten. Ich schäme mich so. Pro Woche haben wir sechs Euro Taschengeld bekommen“, erinnert sich Wedyan S., die als Flüchtling 2006 aus dem Irak nach Deutschland kam. Nachdem ihr Bruder entführt wurde und eine Lösegeldforderung von 100.000 Dollar eintraf, ging ihre Mutter zur Polizei. Einige Tage später wurde auch Wedyan bedroht. Das war ein Wendepunkt in ihrem Leben. Krieg, Bedrohung, Angst, Gefahr und endlich – Flucht.

Flucht in einen Staat, der die Menschenrechte und Menschenwürde achtet. Nach der Ankunft in Deutschland finden sich Flüchtlinge allerdings oft in menschenunwürdigen Umständen wieder. Deprimierende Wohnbedingungen in den Flüchtlingslagern, Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften tragen oft zum Gefühl der Perspektivlosigkeit bei. Dreckige, überfüllte Wohnheime sind vielen Asylbewerbern allzu sehr bekannt. Oft kommen die Flüchtlinge traumatisiert aus ihrem Heimatland an. Zusätzlich müssen sie neue Kraft schöpfen, um mit Enge, Isolation und dem Verlust von Privatsphäre in den Asylheimen fertig zu werden.

© Elena Pupejko

Das Recht auf Asyl wird durch den Artikel 16 der deutschen Verfassung garantiert, der  Grundbedarf an Ernährung und Unterkunft wird durch das Asylbewerberleistungsgesetz gesichert. Oft werden Asylsuchende aber behandelt, als seien sie Verbrecher. Ein Blick in das Wohnheim für Flüchtlinge genügt, um zu verstehen: Sie werden als Menschen zweiter Klasse wahrgenommen, die froh sein müssen, dass sie nicht auf der Straße wohnen.

Das Asylheim in Konstanz ist schon lange zu einer Metapher in der Stadt geworden. Viele kennen es als den Ort, den man so schnell wie möglich verlassen möchte. An der Wand hängt eine Anweisung, was man gegen Kakerlaken tun soll. Kinder spielen mit einem Ball auf dem schmutzigen Boden im Flur. Ihre lauten Stimmen hallen durch das graue vierstöckige Gebäude. In ihren Zimmern ist es ihnen zu eng, da vier bis fünf Personen zusammen in einem Zimmer untergebracht sind. Sechs Quadratmeter sind für eine Person vorgesehen. Es stehen Stockbetten in den Zimmern, damit man etwas Platz zum Bewegen hat. Zwei Duschen müssen für etwa 50 Leute reichen. Die Gemeinschaftsküche ist voll, sie teilen sich ebenfalls rund 50 Menschen. Die Fenster sind auf, gegen den schlechten Geruch. Doch Dreck und Schmutz bleiben. Hier werden viele Sprachen gesprochen und es wird auch viel geraucht. Die Bewohner möchten raus, aber sie können nicht. Sie müssen warten, bis ihre Aufenthaltsgenehmigung regelt ist.

Wahid aus Afghanistan wartet schon fast drei Jahre. Wegen der Residenzpflicht darf er sich nicht weiter als 35 Kilometer von Konstanz entfernen. Bis er als Asylbewerber anerkannt wird, darf er das Wohnheim nicht verlassen. Einige Bewohner warten mittlerweile schon sechs Jahre auf ihre Unterlagen. Kirsa M. aus Syrien freut sich, dass seine Aufenthaltsgenehmigung nach zweieinhalb Jahren endlich kam. Jetzt muss er raus aus dem Wohnheim, um Platz für die anderen Flüchtlinge zu machen. Raus möchte er auch gerne, doch Kirsa macht sich Sorgen um die Wohnungssuche. Der Wohnplatz in Konstanz ist knapp und überteuert. Eine Studentenstadt, von Touristen beliebt und an der Schweizer Grenze – ein Alptraum für Flüchtlinge ohne festes Einkommen, die auf der Suche nach einer Wohnung sind. Die Chance, dass Vermieter einen Asylanten unter 50 Bewerber bevorzugen, ist gleich null. Warum Flüchtlinge vor dem Hintergrund der tatastrophalen Wohnungssituation überhaupt nach Konstanz verwiesen werden, versteht keiner.

© Elena Pupejko

Die Wohnumstände von Flüchtlingen sorgen bei Menschenrechtlern seit langem für Diskussionen. Der Bayerische Flüchtlingsrat spricht sich gegen Asyllager und Gemeinschaftsunterkünfte aus. In Bayern gelte bis jetzt eine strenge Lagerpflicht für Flüchtlinge. Laut der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung soll die Unterbringung von Flüchtlingen in Sammellagern „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“. Der Flüchtlingsrat kritisiert die Bundes- und Landesregierung dafür, dass sie gezielt Perspektivlosigkeit für Flüchtlinge schaffen  und sie mit der unmenschlichen Behandlung zur Ausreise zwingen würden. Der Flüchtlingsrat  hält die Lagerpflicht für menschenunwürdig  und fordert die Abschaffung der Gemeinschaftsunterkünfte. Es solle für Menschen möglich sein, in privaten Wohnungen zu wohnen.

Brigitte Fataj von der Asyl- und Flüchtlingsberatung in Nürnberg hält diese Forderung für unrealistisch. „Wer wird den Flüchtlingen eine Wohnung vermieten wollen? Wenn sie dem Vermieter eine Duldung zeigen, die drei Monate gültig ist,  haben sie keine Chancen“, meint die Beraterin. Wedyan S. kennt die Herausforderung, als Flüchtling eine Wohnung in Nürnberg zu suchen. Monatelang konnte sie nichts finden. „Ich war schon hochschwanger. Wir haben nur Absagen bekommen. Mein Mann hatte Arbeit, aber viel Geld hatten wir nicht. Dem Makler mussten wir 1.000 Euro für die Vermittlung zahlen“, sagt Wedyan. Dabei erinnert sie sich an das große Haus, in dem sie mit ihrer Familie im Irak wohnte und das sie nie wieder sehen wird. So, wie sie auch ihren jüngeren Bruder wahrscheinlich nie wieder sehen wird.

 

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