Ein Symposium untersucht das Thema Geburtshilfe in der Einwanderungsgesellschaft
von Isabel Merchan
Wie beeinflusst die Erfahrung der Migration Schwangerschaften und Geburten von Frauen? Mit dieser Frage haben sich die Gesundheitswissenschaften in den letzten Jahren international wiederholt beschäftigt. Dabei wurde in Studien festgestellt, dass Frauen mit Migrationshintergrund höheren Risiken in ihren Schwangerschaften ausgesetzt sind. Sie erleiden zum Beispiel öfter als Frauen ohne Migrationshintergrund Fehlgeburten oder müssen ihre Kinder per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Die Gründe dafür sind sozialer Natur: Migrantinnen werden seltener von den an den Mittelschichten orientierten Informationen und Angeboten des Gesundheitssystems erreicht. Sie nehmen daher Leistungen wie Vorsorgeuntersuchungen oder Wochenbett-Hilfen weniger in Anspruch.
In Deutschland ist die Datenlage zu diesem Thema veraltet und bruchstückhaft. Um sie zu aktualisieren, hat ein Team aus Berliner und Bielefelder Wissenschaftlern eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Studie durchgeführt und dafür 7.100 Schwangere befragt. Knapp 60 Prozent von ihnen hatten einen Migrationshintergrund, gut 40 Prozent nicht. Befragt wurden Frauen, die zur Entbindung in die Berliner Kliniken am Urban, in Neukölln und Virchow im Wedding gekommen waren. Ausgesucht wurden diese Kliniken, weil sie in Bezirken liegen, in denen besonders viele Migranten leben.
Mit der Studie sollte herausgefunden werden, ob es die beschriebenen Risiken für Schwangere mit Migrationshintergrund hierzulande noch immer gibt. Die in neun Sprachen übersetzten Fragebögen konzentrierten sich auf Themen wie Schwangerenvorsorge, Stillabsicht und allgemeines Gesundheitsverhalten. Kenntnisse über die Versorgung und mögliche Komplikationen während der Geburt wurden aus den in den Kliniken erfassten Daten übernommen. Sechs Monate später wurde ein Teil der Frauen erneut befragt, diesmal zu Komplikationen im Wochenbett, der Betreuung durch eine Hebamme und der Nutzung von Früherkennungsuntersuchungen für ihre Babys.
Der größte Teil der befragten Migrantinnen war selbst eingewandert. Zwei etwas kleinere Gruppen umfassten Frauen der zweiten, hier geborenen Migrantengeneration bzw. hatten ein Elternteil, das im Ausland geboren war. Von den für die Studie befragten Frauen der ersten Generation hatten 21,9 Prozent einen deutschen Pass, bei den Frauen der zweiten Generation waren es 71 Prozent. Die Befragungsergebnisse wurden mit denen von Frauen deutscher Herkunft verglichen.
Die Studie zeigt deutlich die Vielfalt der Herkunftsländer der Befragten oder ihrer Eltern. Man müsse Abschied nehmen vom pauschalen Bild der Migrantin, betonte daher Professor Theda Borde bei der Präsentation der Studienergebnisse auf dem Symposium „Viele Risiken – gutes Outcome? Geburtshilfe in der Einwanderungsgesellschaft“ am 20. Februar 2013 in der Berliner Charité. Borde ist Rektorin der Alice Salomon Hochschule in Berlin und befasst sich seit langem mit dem Thema Migration und Gesundheit.
Bei der Nutzung von Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft gibt es der Studie zufolge keine großen Unterschiede mehr zwischen Frauen mit und ohne Migrationshintergrund, auch nicht bei der Anzahl der Termine. Eine Ausnahme bilden Frauen mit unsicherem Aufenthaltsstatus.
Leichte Unterschiede zeigen sich darin, dass Frauen deutscher Herkunft öfter als Frauen mit Migrationshintergrund Geburtsvorbereitungskurse besuchen und sich in der Zeit nach der Geburt eher von einer Hebamme betreuen lassen. Allerdings gleichen sich diese Unterschiede aus, je höher der „Akkulturationsgrad“ der Befragten ist. Dann wird die Nutzung von Angeboten rund um Schwangerschaft und Geburt immer ähnlicher. Mit Akkulturation meinen Migrationsforscher einen Prozess, in dem sich Migranten mit ihrer Umgebung vertraut machen und sich ihr anpassen oder sich die Umgebung ihnen anpasst. „Je länger jemand hier lebt, desto mehr Akkulturation gibt es“, so Borde. Im Gegensatz zu den 80er Jahren habe sich viel verändert.
Im Vergleich zu früheren Studien zeige die aktuelle Befragung sehr erfreuliche Ergebnisse, stellte Professor Oliver Razum von der Universität Bielefeld auf dem Symposium fest. Viele der in früheren Studien und in der Forschungsliteratur dargestellten erhöhten gesundheitlichen Risiken bei Schwangeren mit einem Migrationshintergrund hätten sich in der Studie nicht bestätigt. „Die Gesundheitsdienste in Berlin schaffen es, gleiche Geburtsvoraussetzungen zu schaffen“, sagte Razum. Es bestünden sprachliche Barrieren, doch würden Dolmetscher offenbar so eingesetzt, dass die Kommunikation funktioniere.
Trotz der positiven Resultate zeigt die Studie allerdings auch, dass es zwischen Migrantinnen und einheimischen Frauen auch nach Jahren der Einwanderung noch immer gravierende soziale Unterschiede gibt. So zeigten sich bei Frauen mit einem Migrationshintergrund ein höherer Bedarf und eine stärkere Nutzung materieller Hilfen während der Schwangerschaft. Große Unterschiede zeigen sich etwa bei der Erwerbstätigkeit und beim Einkommen: Mit weniger als 900 Euro im Monat müssen 26,5 Prozent der Einwanderinnen der ersten Generation auskommen, 22,3 Prozent der Einwanderinnen der zweiten Generation und 16,5 Prozent der Frauen mit einem eingewanderten Elternteil – aber nur 11,3 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Prozess der Akkulturation irgendwann auch auf die sozialen Unterschiede auswirken und diese ausgleichen wird.
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